Im Kern braun
Das Ausmaß der NS-Infiltration im Bundesjustizministerium
übersteigt alle bisherigen Befürchtungen. Ja, wir wussten schon
lange, dass die NS-Elite in der jungen Bundesrepublik neuen
Unterschlupf fand. Aber dass mehr als die Hälfte der
Leitungspositionen in diesem Ministerium in der Hand alter NSDAP-,
SA- oder SS-Kameraden war – das ist schon ein Hammer. War also nur
die juristische Hülle der Bundesrepublik demokratisch, der Kern aber
weiter braun angefärbt?
Dafür spricht einiges, wie der jetzt vorgestellte Bericht über die
Nazi-Verstrickungen der Behörde zeigt. Viele Historiker verstehen die
Frühzeit der Bundesrepublik als ein Erfolgsmodell, weil es gelungen
sei, die NS-Eliten im demokratischen Sinne so zu beeinflussen, dass
sie in Theorie und Praxis nicht länger ihrer Ideologie anhingen. Es
seien geläuterte Nazis gewesen, die dem Land nichts Böses mehr tun
wollten. An dieser These bestehen erhebliche Zweifel. Viele der
Ex-Nazis im Justizministerium verfolgten weiter ihre alten
Vorstellungen.
Zunächst einmal kümmerten sich diese Herrschaften um sich selbst
und ihresgleichen: Sie sorgten dafür, dass Tausende
NS-Schreibtischtäter einer Bestrafung entgingen. Ihnen haben wir zu
verdanken, dass nur ein einziger NS-Richter jemals für seine Taten
zur Rechenschaft gezogen worden ist. Zudem aber hatten diese
angeblichen Demokraten ihre Feindbilder fest im Blick: Die Opfer von
einst, Sinti und Roma, Kommunisten oder Homosexuelle, blieben auch im
neuen Staat verfolgt und landeten zwar nicht mehr im
Konzentrationslager, aber doch hinter Gittern.
Alles sehr bedauerlich, aber lange her, mag da mancher denken.
Tatsächlich sind die NS-Bürokraten von damals heute längst
verstorben. Viele ihrer damals jungen Opfer aber leiden bis heute
unter den Strafen, die sie in der Bundesrepublik erhalten haben. Erst
wenn sie rehabilitiert sind, wenn der Staat Abbitte bei ihnen
geleistet und eine Entschädigung gezahlt hat, ist das Kapitel der
Nazi-Juristen wirklich abgeschlossen.
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