taz-Kommentar von Daniel Bax zu Terror und
Flüchtlingspolitik
Wende ohne Ende
Der Verdacht, dass es sich bei dem Anschlag auf den Berliner
Weihnachtsmarkt um ein geplantes Attentat im Sinne des sogenannten
„Islamischen Staats“ gehandelt hat, scheint sich zu bestätigen.
Doch Rechtspopulisten wie die AfD wussten von Anfang an, noch ohne
die Details abzuwarten, wen sie eigentlich für den Anschlag
verantwortlich machen wollen: Angela Merkel und ihre angeblich zu
großzügige Flüchtlingspolitik des letzten Jahres.
Auch CSU-Chef Horst Seehofer schlug umgehend in die gleiche Kerbe,
er forderte vollmundig eine Wende in der Sicherheits- und
Flüchtlingspolitik. Nur: Diese Wende hat es längst gegeben. Die
traurige Wahrheit ist, dass all die Verschärfungen des letzten Jahres
den Anschlag nicht verhindert haben.
Es ist verführerisch, jetzt nach angeblichen Lücken im Asylrecht
zu suchen, die einem Attentäter wie Anis Amir in die Hände gespielt
haben könnten. Warum konnte er nicht schneller abgeschoben werden,
bevor er den Anschlag beging? Die Gefahr dabei ist, durch übereilte
Forderungen jetzt alle Asylbewerber für diese Tat in Sippenhaft zu
nehmen. Dabei haben die Anschläge der Vergangenheit gezeigt, dass der
IS für Attentate in Europa keineswegs auf Flüchtlinge angewiesen ist.
Der IS setzt aber gerne auf solche Täter, weil er die westlichen
Gesellschaften verunsichern will und weil ihm die deutsche
„Willkommenskultur“ ohnehin ein Dorn im Auge war.
Je mehr Misstrauen Flüchtlingen und Muslimen in westlichen
Gesellschaften entgegengebracht wird, so das Kalkül des IS, umso mehr
kann er hoffen, dass sich einzelne Flüchtlinge und Muslime
radikalisieren und für seine Zwecke einspannen lassen.
Insofern betreiben die AfD und Horst Seehofer das Geschäft des IS,
wenn sie dem Generalverdacht gegen Muslime und Flüchtlinge das Wort
reden. Liberale und Linke müssen sich allerdings auch eingestehen,
dass es angesichts der Flüchtlingsbewegung des letzten Jahres nicht
immer leicht ist, humanitäre und sicherheitspolitische Erwägungen in
Einklang zu bringen. Das geht nur mit einer internationalen
Zusammenarbeit, die auch den Interessen etwa der Herkunftsländer
Rechnung trägt. Denn warum sollen diese potenzielle Terroristen
zurücknehmen, die sich erst in Europa radikalisiert haben?
Humanität und Sicherheit müssen aber auch kein Gegensatz sein, wie
CSU und AfD suggerieren: Gerade eine geordnete Aufnahme von
Flüchtlingen, etwa über Kontingente aus der Türkei oder Jordanien,
würde eine ausgiebige Sicherheitsüberprüfung erlauben und dazu
beitragen, wirklich Bedürftigen zu helfen.
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