Thüringische Landeszeitung: Der Wolf kommt / Kommentar von Gerlinde Sommer zu einem erstmals in Thüringen gesichteten Exemplar dieses Raubtieres

Wir kennen den Wolf nur aus dem Märchen. Seine
Rolle dort ist so unangenehm wie die der Stiefmutter. Der Wolf kann
es allemal aufnehmen mit diesen grauenerregenden Frauengestalten, die
Schneewittchen oder Aschenputtel das Leben schwer machen. Der Wolf
und die sieben Geißlein kennt jeder. Und niemand hat sich als Kind je
mit dem Wolf identifiziert. Nun kommt dieser Wolf zurück. Leibhaftig.
Das rührt an alledem, was uns über ihn erzählt wurde. Und das meiste
davon ist – siehe Stiefmutter – falsch, hinterhältig und gemein.

Der Wolf ist ein Wildtier – und unsere bebauten Gebiete, unsere
verdichteten Landschaften sind nicht gerade das, was er als idealen
Lebensraum anstrebt. Wenn er kommt, dann wird er nicht hinter der
Garage auf uns, die wir am Dorfrand wohnen, lauern. Er wird nicht
wie in Filmen aus den Weiten Sibiriens oder Kanadas Jagd auf einsame
Schneewanderer machen. Er wird eher zu den Verkehrsopfern zählen. Und
bisweilen wird er – nicht immer zu unrecht – im Verdacht stehen, ein
Reh oder ein Schaf gerissen zu haben.

Wer hat Angst vor dem bösen Wolf? Die Frage geht in die Irre. Denn
das Tier ist nicht böse. Aber unserer Ängste müssen wir uns auch
nicht schämen. Wir brauchen mehr Information über den Wolf – und wir
müssen den Kindern sagen: Märchen sind Märchen – und keine Realität.

Pressekontakt:
Thüringische Landeszeitung
Chef vom Dienst
Norbert Block
Telefon: 03643 206 420
Fax: 03643 206 422
cvd@tlz.de

Weitere Informationen unter:
http://