Loben und Leviten lesen. Mit dieser Doppelstrategie
war Bundespräsident Gauck auf schwieriger diplomatischer Mission am
Bosporus unterwegs. Auf der einen Seite kritisierte er schnörkellos
die undemokratischen und autoritären Angriffe des türkischen
Ministerpräsident Erdogan auf Demokratie und Andersdenkende. Auf der
anderen Seite pries er den wirtschaftlichen Aufstieg der Türkei.
Damit hatte er für beide Seiten des in Erdogan-Anhänger und -Gegner
tief gespaltenen Landes etwas im Reisegepäck.
Das war nicht mutig von Gauck, sondern selbstverständlich. Wie
blamiert wäre Gauck in Deutschland, wenn er die Angriffe Erdogans
auf die Meinungs- und Pressefreiheit nicht gegeißelt hätte, nachdem
er auf eine Reise zu den Olympischen Spielen in Sotschi verzichtet
hatte, nur um Russlands neuen Zaren Putin aus dem Weg zu gehen.
In einem entscheidenden Punkt sandte Gauck ein völlig falsches
Signal an Ankara: Er machte der Türkei Hoffnung, irgendwann doch noch
die EU-Mitgliedschaft zu ergattern. Damit schlug er sich auf die
sozialdemokratische Seite der Großen Koalition und widersprach der
CDU-Kanzlerin, die einen EU-Beitritt der Türkei ablehnt, aber eine
weniger bindende privilegierte Partnerschaft anstrebt.
Gaucks Motiv für das großzügige Angebot an die sich schleichend
islamisierende Türkei bleibt nebulös. Vielleicht will er das Land zu
demokratischen Reformen ermuntern und Erdogan dazu bewegen,
Islamisierung und Demokratieabbau zu stoppen. Das wäre naiv. Zudem
ist die Türkei auch ohne Erdogan mindestens für Jahrzehnte kein
geeigneter EU-Aufnahmekandidat. Mutig von Gauck wäre es, diese
Wahrheit auszusprechen, anstatt falsche Hoffnungen in der Türkei zu
wecken und spaltende Debatten in der EU zu sähen.
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