Weder der Höhenflug der SPD noch die Watschn für
die CSU sind die markantesten Ergebnisse der Europa-Wahl in
Deutschland. Stärkere Auswirkungen auf das Parteienspektrum werden
der Aufstieg der AfD und der anhaltende Niedergang der FDP haben. Die
EU- und Euro-Kritiker haben nun die Chance, dauerhaft Sitze in
Deutschlands Parlamenten zu ergattern, wenn sie sich nicht
undemokratisch radikalisieren – was ihr Vorsitzender Lucke geradezu
gebetsmühlenartig ausschließt – und sie ihr Image als
Denkzettel-Partei loswerden.
Dramatisch wird es nun für die Liberalen, die bei den anstehenden
Landtagswahlen gleich aus mehreren Parlamenten fliegen könnten –
auch in Thüringen. Die FDP ist in ihrer Existenz bedroht. Ihr nicht
mehr ganz neuer Vorsitzender Lindner hat es noch nicht vermocht, die
FDP zu einer erkennbaren inhaltlichen Alternative zu Union und SPD zu
machen.
Dass die SPD stark zulegen konnte, liegt auf der Hand: Ihr
Spitzenkandidat Martin Schulz hat mit seiner Medienpräsenz alle
anderen Wahlkämpfer an die Wand gespielt. Ob er nun
EU-Kommissionspräsident wird, bleibt trotz des kragensprengenden
Selbstbewusstseins, dass er nun zur Schau trägt, sehr ungewiss. Es
droht ein Hauen und Stechen innerhalb des neuen EU-Parlaments und
zwischen den europäischen Regierungschefs, die alle ihr eigenes
Süppchen kochen wollen. Die Chancen des christdemokratischen
Spitzenkandidaten Juncker auf Schulz– Traumposten sind mindestens so
groß wie die des deutschen Sozialdemokraten. Findet keiner eine
Mehrheit, werden die Regierungschefs kaltschnäuzig einen
Kompromisskandidaten aus dem Hut zaubern.
Demokratische Euroskeptiker wie die AfD, Populisten von Rechts und
Links sowie rechtsextreme Demokratiefeinde sind stark vertreten im
neuen EU-Parlament, aber ihre Ziele und Motive sind viel zu
unterschiedlich, als dass sie einen einheitlichen Block bilden
könnten.
Die EU-Institutionen und -Bürokraten werden es im neuen
Straßburger Parlament nicht mehr so leicht haben, ihre Pläne
widerstandslos durchzubringen. Die wirkliche Macht aber wird bei den
Parteien bleiben, die am europäischen Einigungsprozess festhalten.
Deshalb wird es in Zukunft hitzigere und längere Debatten als bisher
geben, an den Grundfesten der EU und ihren Institutionen wird jedoch
nicht gerüttelt werden.
Die Wut vieler Bürger über die EU war groß, am entscheidenden
Wahltag aber sprach ihr die deutliche Mehrheit das Vertrauen aus.
Positive Meldungen über eine Beruhigung der Finanzkrise haben dazu
beigetragen.Wären sie sie nur Vorwahl-Propaganda gewesen,wäre der
Vertrauensverlust hinterher umso größer.
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