65 ist eigentlich kein Jubiläum. Doch eine Feier
des Grundgesetzes wollten sich weder Bundespräsident noch
Bundestagspräsident entgehen lassen. Und so feierten beide – und
jeder für sich. Normalerweise, so hätte das Volk annehmen dürfen,
spricht an so einem Tag das Staatsoberhaupt im Bundestag. Doch nichts
da. Gab es also Streit? Zoff gar um die intellektuelle Flughöhe der
Gauck–schen Reden, wie „Bild“ in den Raum gestellt hatte? Nichts da,
sagte Lammert. Und der Bundespräsident? Der schwieg – und klatschte
aber Beifall. Und zwar auch jenem Redner, der tatsächlich den Satz
des Tages gesprochen hatte: Das Grundgesetz sei die beste Verfassung
in der Geschichte Deutschlands, das gelte gerade auch für die
ehemaligen Bürger der DDR, sagte – und jetzt kommt es: Gregor Gysi.
Das ist insofern verblüffend, als es gerade auch unter Linken immer
wieder Stimmungsmache dahingehend gibt, als sei diese um den Osten
erweiterte Bundesrepublik eben nicht in bester Verfassung. Das böse
Wort vom Anschluss geistert schließlich noch immer durch manche
Debatte.
Gysi war aber nicht das Hauptprogramm: Der Bundestag hat Neues
versucht – und sich einen Redner geholt, von dem zu erwarten war,
dass er das Land nicht in bester Verfassung sehen würde. Der
Schriftsteller Navid Kermani hat viel gelobt, darunter vor allem
auch die große Integrationsleistung, die Deutschland – und hier vor
allem die Bürger selbst – vollbracht haben. Von der Situation der
Nachkriegszeit sind wir weit entfernt. Er geißelte die Aushöhlung des
Asylparagrafen als hässlich und herzlich. Das sehen viele anders.
Aber es musste von diesem Mann an diesem Tag mal gesagt werden, damit
die Debatte gerade mit Blick auf die Toten im Mittelmeer weitergeht.
Die Frage ist: Was tun wir, damit Menschen erst gar nicht Asyl
benötigen? Und wie entscheiden wir, wer auf unsere Hilfe Anspruch
hat. Nur wenn darauf zeitgemäße Antworten gefunden werden, ist das
Land in bester Verfassung.
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