Thüringische Landeszeitung: Kommentar zur deutschen Einheit unter dem Titel „Einheitsnörgelei“

Pessimismus und Einheitsnörgelei als politisches
Ritual: Ist die deutsche Einheit wirklich so misslungen, wie uns
viele am Tag der Deutschen Einheit wieder weismachen wollen?
Natürlich nicht! Trotz aller ein Vierteljahrhundert nach Mauerfall,
Friedlicher Revolution und Wiedervereinigung ungelösten Probleme und
real existierenden Unterschieden zwischen Ost und West ist sie eine
historische Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht. Ein Blick in
die osteuropäischen Nachbarländer genügt, um das zu belegen. Es ist
eben typisch deutsch, nicht das Ermunternde und Gelungene, sondern
dass Trennende und Spaltende zu beleuchten. So hebt die
Volkssolidarität zum 3. Oktober mal wieder hervor, wie schlecht
angekommen sich viele Ostdeutsche der älteren Jahrgänge in der
Bundesrepublik fühlen. Sozialwissenschaftler konstatieren, dass sich
viele Ossis nicht als „richtige“ Bundesbürger“ fühlen. Und eine in
Hamburg erscheinende Illustrierte fragt, ob ein Broiler denn nun ein
Brathähnchen, ein Polizist, eine Cola-Marke oder ein Auspuff sei?
Die Wahrheit ist komplizierter. Natürlich kann man wie die
thüringische Ministerpräsidentin Lieberknecht eine Angleichung der
Ost- an die Westrenten fordern. Das klingt gut und gerecht. Völlig
gleiches Rentenrecht führt aber zu geringeren Durchschnitts-Renten
im Osten, wie Bundeskanzlerin Merkel erkannt hat. Drohende
Altersarmut ist ein bundesweites Problem. Noch immer ist die
Arbeitslosigkeit im Osten meistens höher als im Westen, aber in
Thüringen niedriger als in Nordrhein-Westfalen. Sitzen dort die
Verlierer der Einheit? Natürlich nicht. Die alte, wohlige
Bundesrepublik gibt es eben nicht mehr. Nicht wegen der Kosten der
Wiedervereinigung, sondern wegen des immensen globalen
Konkurrenzdrucks. So sind es die regionalen Unterschiede quer durch
Deutschland, die zukünftig entscheidend sind, aber nicht mehr die
simple Spaltung zwischen Ost und West. Oft hinken die
Befindlichkeiten den Realitäten hinterher. Die Rückkehr zur DDR ist
alle Jahre wieder ein Umfragehit, aber keine ernsthafte Alternative.

Pressekontakt:
Thüringische Landeszeitung
Chef vom Dienst
Norbert Block
Telefon: 03643 206 420
Fax: 03643 206 422
cvd@tlz.de

Weitere Informationen unter:
http://