Auf den ersten Blick scheint das Urteil des
Bundesgerichtshofs weltfremd. Ein enterbter Sohn soll Pflegekosten
für seinen Vater zahlen, zu dem es seit Jahrzehnten keinen Kontakt
mehr gab. Vielen dürfte es widerstreben einzusehen, dass hier jemand
für einen ihm emotional fremd gewordenen Menschen aufkommen soll.
Aber ist dieses Urteil wirklich so weltfremd? Es zeigt die
Probleme eines sich wandelnden Familienbildes in der Gesellschaft.
Wie weit geht die Verantwortung von jemanden, der beispielsweise aus
einer Patchwork-Familie kommt? Wie eng muss die Bindung sein, damit
man füreinander einsteht? Früher war es eine Selbstverständlichkeit:
Eltern stehen für ihre Kinder ein, Kinder für ihre Eltern. Aber die
Scheidungsraten steigen und damit auch die Zahl der Scheidungskinder.
Was passiert mit deren Eltern, wenn die einmal pflegebedürftig sind?
Viele Kinder werden sich der Verantwortung stellen, andere sich ihr
aber auch entziehen. Dem hat der Bundesgerichtshof einen Riegel
vorgeschoben. Denn noch gilt der besondere Schutz von Ehe und Familie
in der Verfassung und damit der generationenübergreifende
Solidaritätsgedanke.
Machen wir uns nichts vor: Genau an dieser Stelle bröckelt es in
der Gesellschaft gewaltig. Vor dieser sich immer mehr öffnenden
Kluft hat die Politik bisher die Augen weitgehend geschlossen. Es
sind die Richter, die die Politiker immer wieder daran erinnern
müssen, dass die Gesellschaft sich dynamisch wandelt. Juristisch geht
die Entscheidung von Karlsruhe in Ordnung. Die Hausaufgabe der
Richter an die Politik aber lautet: Gebt dem sich wandelnden Bild der
Familienpolitik auch einen juristisch auslotbaren Rahmen.
Das pure Wegschauen führt sonst zu Urteilen wie diesem, über das
sich die unter immer höheren Sozialkosten leidenden Städte freuen
können. Weltfremd ist dieses Urteil deshalb keineswegs.
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