tz München: Ein Triumph – und viele offene Fragen

Mit der Nachricht, die US-Streitkräfte haben
seinen Leichnam in der See bestattet, wissen wir endlich, wo sich
Osama bin Laden aufhält: am Meeresboden. Dennoch wirft die von einem
Sonderkommando der US-Marine in Pakistan durchgeführte Tötung des
Al-Kaida-Führers mehr Fragen auf als sie beantwortet. Vielleicht am
wichtigsten ist die Frage nach den Auswirkungen der Enthauptung von
Al-Kaida selbst. Als Folge des weltweiten Anti-Terror-Kampfes hat
sich die Organisation der Gruppe während der letzten Jahre verändert.
Sie wurde weniger hierarchisch und entwickelte sich in Richtung einer
sozialen Bewegung. Zwar blieb Bin Laden ein Symbol der Einigkeit,
aber die vielen Zellen des Netzwerks haben sich immer mehr autonom
bewegt. Es bleibt eine offene Frage, ob die mittlerweile diffuse
Bewegung ohne die Bindekraft eines charismatischen Führers
zusammenhalten kann. Zwar hinterlässt Bin Laden einen kompetenten
Mann, den Ägypter Aiman al-Sawahiri, aber niemand weiß, ob die neue
Nummer eins auf Dauer weltweit eine Gefolgschaft inspirieren kann.
Den ersten Informationen zufolge wurde die Kommandoaktion der
Amerikaner ohne das Wissen Islamabads durchgeführt. Schon länger
vermutet Washington, dass Teile der pakistanischen Regierung mit der
radikal islamistischen Bewegung sympathisieren. Welche Bedeutung die
Entdeckung eines Al-Kaida-Hauptquartiers in zweistündiger Entfernung
zur Hauptstadt des nuklearbewaffneten islamischen Staates für die
weitere Zusammenarbeit zwischen Washington und Islamabad haben wird,
ist eine der spannendsten Fragen. Nicht zuletzt sind die Auswirkungen
der Tötung Bin Ladens auf den fortdauernden Krieg in Afghanistan
unbekannt. Aber hier gibt es Grund zur Hoffnung. Durch die
erfolgreiche Aktion politisch gestärkt, könnte Präsident Obama jetzt
den Dialog mit der Taliban-Führung suchen. Die Taliban wiederum
dürften durch die spektakuläre Tötung Bin Ladens auch Grund zum
Nachdenken bekommen haben.

James Davis, US-Politik- Experte

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