Wer von einem Raubtier angegriffen wird, hat mehr
Angst vor dem Tod als vor einer Katzenhaarallergie. Wer erfährt, dass
die Welt morgen untergeht, hat auch keine Angst mehr vor Karies. Das
zumindest wäre eine Erklärung für ein seltsames Phänomen: Die
Deutschen, vor allem die Menschen an Rhein und Ruhr, haben so wenig
Angst vor persönlichen Krisen, Straftaten, Terror, Krieg oder
Naturkatastrophen wie seit Jahren nicht mehr. Aber so ist das mit dem
Angsthaushalt der Seele: Wer fürchtet, dass Deutschland in den
Strudel der Eurokrise gerät, wer um sein Hab und Gut bangt, getrieben
vom deutschen Trauma der Hyperinflation – der hat weniger Angst um
seine Ehe, seine Gesundheit oder einen Terroranschlag. Oder anders:
Der redet sich ein, dass es zumindest auf diesen Gebieten gut gehen
wird. Je größer die aktuelle Sorge – desto mehr treten andere
Befürchtungen in den Hintergrund. Nur jeder Siebte hat Angst, dass
seine Partnerschaft zerbricht – trotz aller Meldungen über hohe
Scheidungsraten. Nur jeder Fünfte fürchtet sich vor Straftaten und
nur noch jeder Dritte vor Arbeitslosigkeit. Ist das gut so? Weniger
Angst ist immer gut. Mangelnder Wirklichkeitssinn dagegen kann
gefährlich werden.
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