Für viele Christen im Nahen Osten geht ein
bedrückendes Jahr zu Ende. Die irakischen Gläubigen kehren in Scharen
ihrer Heimat den Rücken. Familien suchen Unterschlupf im sicheren
kurdischen Norden. Andere fliehen in Todesangst über die Grenzen nach
Jordanien und Syrien. Wer noch ausharrt, duckt sich weg.
Der chaldäische Bischof von Kirkuk hatte alle kirchlichen
Weihnachtsfeiern abgesagt, nachdem er und mehrere Priester
Morddrohungen von irakischen Extremisten erhalten haben. Libanons
Maroniten fürchten einen neuen Bürgerkrieg. Auch die Kopten am Nil
stehen im Visier von El-Kaida-Terrorplanern. Die Patriarchen des
Heiligen Landes warnen vor einer weiteren Zunahme der Gewalt.
Ohnmächtig müssen sie den Exodus palästinensischer Christen mit
ansehen. Die biblischen Schwesterstädte Bethlehem und Jerusalem
trennt heute eine monströse Mauer.
Ausgerechnet in der Unruheregion des Nahen und Mittleren Ostens,
wo die Weltreligion einst entstand, droht das Christentum den Boden
unter den Füßen zu verlieren. Hier liegen seine ältesten Wurzeln.
Doch heute leben nur noch 17 Millionen Christen unter gut 400
Millionen Muslimen – und ihre Zahl schwindet. Überall sind sie nur
noch kleine Minderheiten, angefangen von einem Prozent im Iran und in
der Türkei, über drei Prozent in Israel und Jordanien bis hin zu zehn
Prozent in Ägypten. Ungeachtet dessen zählen Armenier, Kopten und
Syrisch-Orthodoxe zu den ältesten Kirchen überhaupt – zusammen mit
den Chaldäern und Melkiten. Seit alters her gehört ihre religiöse
Präsenz zum geistig-kulturellen Grundgewebe des Orients. Trotzdem
werden sie von selbsternannten Gotteskriegern immer aggressiver
denunziert als Agenten des Westens, als Fremdkörper in ihren eigenen
Völkern oder gar als Ungläubige.
Am Ende können durch Bedrohungen, Vertreibung und Flucht alle nur
verlieren. Das interreligiöse Klima in den islamischen Staaten wird
schleichend vergiftet. Der Irak könnte wegen der monströsen
Mordanschläge sogar sein gesamtes christliches Erbe einbüßen. Zurück
werden Gesellschaften bleiben, in denen islamische Puristen und
Fanatiker den Ton angeben.
Fazit: Christen, Juden und Muslime haben den Mittleren und Nahen
Osten mit geprägt. Die wachsende Gewalt gegen Christen wird die
Region verarmen lassen – religiös wie kulturell. Sie verliert ihre in
Jahrhunderten gewachsene Vielfalt.
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