WAZ: Debatte um AKW-Laufzeiten – Es droht ein Wirrwarr goldener Brücken – Leitartikel von Thomas Wels

Eigentlich müsste sich Angela Merkel auf die
kommenden Wochen freuen. Ende September steht mit der Atomfrage eine
enorm wichtige wirtschaftspolitische Entscheidung an – und die
Kanzlerin hat mit ihrer abwartenden Haltung das Feld anderen
überlassen, womit sie nun das tun kann, was ihr am meisten liegt:
moderieren. Gelingt es ihr, am Ende ein schlüssiges Energiekonzept
auf den Tisch zu legen, könnte das ihr erster großer innenpolitischer
Erfolg in dieser bisher so glücklos handelnden Bundesregierung
werden. Sicher ist das keineswegs. Nach dem bösen Hickhack unter
Schwarz-Gelben in der Gesundheits- und Steuerpolitik oder im Fall
Opel wird sich zeigen, ob das System Merkel die Sommerpause
unbeschadet überstanden hat. Oder ob am Ende ihre Kritiker Recht
behalten mit dem Vorwurf, Merkel leide unter einer grundlegenden
Führungsschwäche. Die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke ist
inzwischen innerhalb der Union derart umstritten, dass eine Einigung
hinterher umso glanzvoller erscheinen könnte. Es profiliert sich der
Umweltminister Röttgen liebend gerne mit einer Kurzzeitverlängerung
gegen Fraktionschef Kauder und den Wirtschaftspolitiker Fuchs aus
Baden-Württemberg, aber auch gegen den Kanzleramtschef Pofalla. Des
Weiteren mischen mit: der wirtschaftsfreundliche Wirtschaftsminister
Brüderle, der klamme Finanzminister Schäuble, die Bundesländer mit
AKW-Standorten, die auch etwas abhaben wollen aus dem Füllhorn namens
Brennelementesteuer sowie die Betreiber der Atomkraftwerke. Merkel
läuft Gefahr, dass sie die Dynamik der Debatte nicht mehr einbremsen
kann und mithin kein vernünftiges Konzept für eine Brücke ins
Zeitalter erneuerbarer Energien entsteht, sondern ein Wirrwarr
goldener Brücken zur gesichtswahrenden Befriedigung parteipolitischer
Eitelkeiten. Der Gedanke von der Brücke in ein neues Energiezeitalter
ist klug. Schließlich kann die Brücke nicht nur einen Zeitraum von
zehn bis 15 Jahren bis zur technischen Instandsetzung erneuerbarer
Energien überbrücken, sie kann helfen, ideologische Gräben zu
überwinden. Allerdings darf Berlin dann nicht bloß eine Gewinnsteuer
auf Brennstäbe zur Haushaltssanierung erfinden. Für die Brücke muss
ein Instrument her, das die Atomgewinne in die Erforschung von
Speichertechnologien lenkt. Merkel muss die Stellschrauben so drehen,
dass die Konzerne erneuerbare Energie wirtschaftlich entwickeln
können. Weniger CO2-Ausstoß, wettbewerbsfähige Strompreise und eine
weitgehend unabhängige Energieversorgung – so sähe ein Geschäft auf
Gegenseitigkeit aus.

Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-6528
zentralredaktion@waz.de