WAZ: Die Entdeckung der Lautlosigkeit. Leitartikel von Miguel Sanches

Die CSU ist nicht grantig. Ruhe, nicht Kraftmeierei
ist ihr Gebot der Stunde. Der FDP hat man in Kreuth – nahezu lautlos
– das Thema Steuersenkung geklaut. Die SPD und die Grünen wurden
nicht zur Un-zeit geärgert. Die Union muss sich mit ihnen auf eine
Hartz-IV-Reform einigen. Die Schwesterpartei CDU wurde erst recht
ge-schont. Es stehen Wahlen an, und nichts irritiert Anhänger
bürgerlicher Parteien mehr als Streit und mangelnde Geschlossenheit.

Wenn er sich halbwegs unter Kontrolle hat, wird CSU-Chef Horst
Seehofer 2011einsame Entscheidungen vermeiden. Er will im Herbst
wiedergewählt werden und steht in der Partei unter verschärfter
Beobachtung. Bei der CSU-Klausur in Kreuth hat der Leitwolf Kreide
gefressen. Für die Attraktivität der Union ist nicht nur wichtig,
worüber CDU und CSU streiten, sondern auch das Wie. Zielkonflikte
sind okay, Profilneurosen nicht. Es gibt zwar Streit. Die
Konfliktlinien verlaufen indes nicht eindeutig zwischen CDU und CSU.
Bei der Vorratsdatenspeicherung setzen sie zusammen die FDP unter
Druck. Über die Struktur der Bundespolizeien streiten Bund und
Länder; da verlaufen die Fronten parteiübergreifend. Die Anwerbung
von Fachkräften aus dem Ausland, die Ursula von der Leyen umtreibt,
ist nicht allein der CSU suspekt. Beim Thema Steuervereinfachung geht
es wiederum gemeinsam gegen einen Finanzminister, der bremst.

In der Steuerpolitik hat die Union keine Linie. Sie müsste sich
mal entscheiden, was sie will: Sparen oder Steuern senken, wie es
Bayerns Finanzminister fordert. Das ist die CSU, wie man sie kennt:
Als Sowohl-als-auch-Partei. Ziemlich dreist ist ihr Umgang mit der
FDP, der man das Steuerthema „klaut“. Es war mal ihr
Alleinstellungsmerkmal. An der FDP kann man freilich studieren, was
passiert, wenn man nicht hält, was man verspricht. Dann geht–s
abwärts.

Tricky geht es auch in der Personalpolitik zu. Man kennt
Doppelspitzen von den Grünen. Die CSU hat im Grunde auch eine:
Seehofer ist kraft Amtes Nummer 1. KT–s Sonderstellung ist eine Frage
des Charismas und nicht der Satzung. Seehofer will im Herbst wieder
kandidieren. Guttenberg hat zu seinen Ambitionen in Kreuth nichts
gesagt. So was nennt man beredtes Schweigen.

Fazit: Die CSU war schon mal bedeutender. Aber von einer
Verzwergung kann keine Rede sein. Sie hat eine Machtbastion – Bayern
– und mit Guttenberg einen, der die Fantasie anregt. Als neue
Steuersenkungspartei kann sie sich indes blamieren.

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