Was denken die Chinesen über den Friedensnobelpreis
für den Bürgerrechtler Liu Xiaobo, und wie viele haben überhaupt
jemals von ihm gehört? Diese Fragen kann niemand beantworten.
Immerhin, soviel war zu beobachten: Bürgerrechtler, Anwälte,
Hochschuldozenten, Studenten, Künstler und Journalisten reagierten
fröhlich auf die Nachricht aus Oslo, Funktionäre hingegen zeigten
sich betroffen oder zornig.
Doch es scheint den Zensoren zu gelingen, die Hintergründe des
Preises einer breiten Öffentlichkeit zu verheimlichen. Auch das
Internet war bisher keine Informationsquelle. Wer den Namen „Liu
Xiaobo“ bei Google eintippte, sah ein festgefrorenes Bild auf dem
Monitor. Die Webseite von Baidu, dem größten Online-Suchdienst in
China, reagierte nicht viel freundlicher. Tippte man „Liu Xiaobo“
oder „Friedensnobelpreis“ ein, tauchte der Sprecher des
Außenministeriums mit der Erklärung auf, die Ehrung Lius sei eine
„Entweihung“ des Nobelpreises.
So dürften die meisten Bewohner der Volksrepublik wohl nicht
wissen, warum dieser Liu Xiaobo den Preis erhalten hat. Erst langsam
scheint die Propaganda aus ihrer Schreckstarre zu erwachen – und
argumentiert stur und wenig klug nach altem Muster. „Den
Friedensnobelpreis an einen Kriminellen zu verleihen, der eine
Gefängnisstrafe verbüßt, zeigt den Mangel an Respekt für Chinas
Rechtssystem“, befand ein Sprecher des Außenministeriums. Respekt für
„Chinas Rechtssystem“ gerade in diesem Fall zu fordern, verrät
einiges an Chuzpe, nachdem Liu Xiaobo in einem intransparenten
Schnellverfahren abgeurteilt wurde. Solche irrwitzigen Formulierungen
gehören zu den alten Tricks der Partei. Sie verfehlen ihre Wirkung
bei jenen Chinesen, die es besser wissen. Aber die Methode
funktioniert bei Bürgern, die davon überzeugt sind, dass ihr Land im
Ausland schlecht angesehen ist, einfach, weil es immer schon so war.
Dieses Gefühl wird in Schulen, Filmen und populären Büchern immer
wieder neu angefacht.
Das Ziel ist klar. Die Regierung will verhindern, dass die
Bevölkerung den Friedensnobelpreis für Liu Xiaobo so versteht, wie er
gemeint ist: Als Ermutigung und als Zeichen des Respekts für einen
Mann, der immer wieder ins Gefängnis geworfen wurde, weil er
unbeirrt für die Rechte und Freiheiten auch in seinem Land eintrat,
die für alle Menschen dieser Welt gelten müssen. Diese universellen
Rechte als „westlich“ zu bezeichnen, ist ebenso unsinnig, wie den
Friedensnobelpreis als „Ohrfeige für China“ zu deklarieren. Das wird
man in den nächsten Monaten und Jahren immer wieder neu betonen
müssen.
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