Die SPD sonnt sich dieser Tage im Umfragehoch
Sigmar. Doch wie entspannt darf er sein? Es ist ja nicht so, als
reklamierte Gabriel die schönen Zahlen für sich. Gern räumt er ein,
von der Schwäche der Regierung zu profitieren. Schließlich werden die
Aussichten für ihn umso schöner, sollte es gelingen, dem
schwarz-gelben Zanklager auch noch mit eigener Stärke zu begegnen.
Doch die Richtung, in die Gabriel den Tanker SPD steuert, lautet
spätestens seit dieser Woche: volle Kraft zurück.
Gabriel will zumindest symbolisch nachholen, was in der Regierung
nicht möglich war: die Rückabwicklung der Agenda 2010, aktuell durch
den Abschied von der Rente mit 67. Damit befriedet er die
Parteilinke, die darin wie in Hartz IV einen Verrat an der eigenen
Wählerschaft sieht. Er geht auf die Gewerkschaften zu, die zuletzt
lieber mit Merkel plauderten als mit den Genossen. Die letzten
Agenda-Getreuen Steinbrück und Steinmeier sind verstummt oder werden
überstimmt. Diese Taktik wäre klug, wenn das brachliegende
SPD-Potenzial vor allem bei der Linken zu verorten wäre. Doch stimmt
das? Und findet Gabriel den Retro-Anstrich der neuen SPD wirklich
modern?
Es sind nicht ohne Grund die Grünen, denen die meisten
Schwarz-Gelb-Geschädigten zulaufen. Jede Wette, dass darunter nicht
viele Altkonservative sind. Es sind Berufstätige jüngeren und
mittleren Alters aus der bürgerlichen Mittelschicht. Menschen, die
sich um ihre Zukunft sorgen und sich wenig um alte, parteiinterne
Fehden kümmern. Die einst von Schröder gewonnene und von der SPD
wieder verprellte Neue Mitte bildet noch immer den Kern der
Wechselwähler.
Diese Mittelschicht aus Fachkräften und Akademikern hat längst
begriffen, dass sie länger arbeiten muss. Gabriel wird sie nicht
zurückgewinnen, indem er ihnen anderes verspricht. Die Nachrichten
dieser Woche haben gezeigt, wie wenig der SPD-Kurs in die Zeit passt:
die Chancen der Älteren haben sich verbessert, die der Jüngeren
verschlechtert. Nun kommt mit Wucht der Aufschwung. Er wird jene
mitnehmen, die qualifiziert sind – und viele Jüngere zurücklassen.
Nichts spricht dagegen, mehr für die Beschäftigung Älterer zu tun.
Doch die Herausforderungen der Zukunft sind andere. Eine nach vorn
gewandte SPD müsste diese drei Themen behandeln: frühkindliche
Bildung, Schulbildung und Ausbildung. Um die Jugendarbeitslosigkeit
zu bekämpfen, um die Fachkräfte heranzuziehen, die unsere Wirtschaft
dringend brauchen wird und für die Integration von Migrantenkindern.
Damit auch sie dereinst bis 67 arbeiten können.
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