WAZ: Die Schwindsucht des Rubels – Kommentar von Stefan Scholl zur Krise in Russland

Der Rubel bricht alle Minusrekorde, hat seit
Jahresbeginn glatt 50,5 Prozent seines Wertes verloren. Ein Absturz,
den Experten meist mit dem fallenden Ölpreis und den westlichen
Finanzsanktionen gegen Moskau erklären.

Aber beide Außenfaktoren erklären die galoppierende Schwindsucht
des Rubels nur zum Teil. Ganz offenbar traut Russland seiner Währung
nicht mehr. So wenig wie der Wirtschaftspolitik des Kreml, der seit
Jahrzehnten marktwirtschaftliche Reformen predigt und
Staatsmonopolismus praktiziert.

Russland rüstet auf, macht auf Imperium, aber Infrastruktur,
Industrie und Bildungswesen verrotten. Kein Zufall, dass der Rubel
sogar die Fallgeschwindigkeit der kriegsgeschüttelten ukrainischen
Griwnja übertroffen hat. Gestern noch verhöhnte Premierminister
Dmitri Medwedew die Ukraine wegen ihrer Wirtschaft, heute taumelt
seine eigene Ölexportökonomie. Schon kreist in Moskau das Gerücht, er
solle durch den liberalen Ex-Wirtschaftsminister Alexei Kudrin
ersetzt werden, den er einst selbst feuerte. Stellt sich nur die
Frage, ob Kudrin diesen Job haben möchte.

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