Die Rede, über die seit Tagen so heftig debattiert
wurde, war kürzer als gedacht. War sie den ganzen Streit wert? Haben
die Parlamentarier, die sie nicht gehört haben, etwas verpasst? Ja,
das haben sie. Wer allerdings erwartet hatte, der Papst spräche über
die großen Fragen der Politik, die Finanzkrise, den Weltfrieden,
globale Bedrohungen, der wurde enttäuscht. Benedikt ist nicht der
politische Papst, kein Staatsmann auf dem Thron Petri.
Benedikt XVI. sprach vor allem als Gelehrter. Seine Rede war eine
staatsphilosophische Abhandlung auf höchstem intellektuellen Niveau.
Es war ein Appell an das Gewissen der Abgeordneten. Es ging um nichts
anderes als um die Kardinalfrage der Politiker, um die Frage: Wann
ist ein Politiker ein guter Politiker? Woher weiß er, welche
Entscheidung die richtige ist? Wie erkennt er, was recht ist? Der
Erfolg, mahnt er, sei es jedenfalls nicht. Eine Ohrfeige an jene, die
Entscheidungen von Umfragen und nicht vom Gemeinwohl abhängig machen.
Verlorene Zeit, sich das anzuhören? Nein, vertane Chance, es nicht zu
tun.
Was wirklich enttäuschend war, das war die Sprache. Leicht gemacht
hat es Benedikt den Zuhörern leider nicht. Seine Rede war über weite
Teile schwere philosophische Kost. Schade. Dabei hätte es das Thema
verdient, auch von Zuhörern, die kein Philosophie-Studium absolviert
haben, bis zur letzten Zeile verstanden zu werden. Ein brillanter
Rhetoriker ist dieser Papst nicht. Und dennoch verblüffte er. Wer
hätte gedacht, dass er ein geradezu glühender Anhänger der
ökologischen Bewegung ist? Gesegnet seien die Grünen.
Was die Sprache angeht, hat Bundespräsident Christian Wulff
verständlichere Worte gefunden, als er den Gast aus Rom in seinem
Amtssitz Schloss Bellevue begrüßte. Wulff traf den richtigen Ton.
Warmherzig in der Anrede, respektvoll, ohne unterwürfig zu sein und
klar, als er die Lage der katholischen Kirche analysierte. Bestens
informiert fragte der wiederverheiratete Katholik nach der
Barmherzigkeit der Kirche im Umgang mit Brüchen in den
Lebensgeschichten der Menschen, lobte den neuen Dialog in der Kirche,
warb für mehr Ökumene, beklagte das unausgewogene Verhältnis von
Laien und Geistlichen, Frauen und Männern in der Kirche. Mutige
Worte.
An diesen Fragen kommt der Papst in Deutschland nicht vorbei. Das
hat ihm der oberste Repräsentant des Staates für die nächsten Tage
mit auf den Weg gegeben. Der Ball liegt jetzt bei Benedikt.
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