Viele Ägypter erinnern sich genau an den 25. Januar
2011 auf dem Kairoer Tahrir-Platz. Es war der Beginn der Revolution.
Inzwischen steht der gestürzte Präsident Hosni Mubarak vor Gericht,
ein demokratisches Parlament ist im Amt. Gewählt hat die Mehrheit die
Muslimbruderschaft. Für viele sind die Islamisten die besten Garanten
gegen Korruption und Günstlingswirtschaft.
Das sehen andere Aktivisten völlig anders. Sie wollen ihre
Revolution vollenden. 12 000 Menschen sind seit dem Sturz
Mubaraks von Militärtribunalen verurteilt, fast 100 Demonstranten
erschossen worden. Auch deshalb schauen viele Revolutionäre mit
Argwohn in die Zukunft. Für sie bahnt sich eine Komplizenschaft der
Mächtigen an – zwischen Muslimbruderschaft und Armee.
360 Islamisten sind in das erste demokratisch gewählte Parlament
Ägyptens eingezogen – 72 Prozent der Mandate. Das ist eine harte
Lektion für die jungen Revolutionäre. An den Urnen gingen deren
Parteien praktisch leer aus. Weibliche Abgeordnete kann man an den
Fingern abzählen. Doch der Triumph der Muslimbrüder ist mehr als nur
das Resultat von Sozialarbeit und Kleiderspenden in den
Armenvierteln. Auch aus dem Mittelstand haben Hunderttausende den
Islamisten ihre Stimme gegeben. Sie haben Vertrauen in die Verfolgten
des Mubarak-Regimes. Sie wollen nicht länger einen Militärstaat mit
ziviler Fassade erdulden und hoffen durch klare politische
Verhältnisse auf eine innere Beruhigung ihrer Heimat.
Nach 30 Jahren Einheitsherrschaft steckt Ägyptens Parteiensystem
in den Kinderschuhen. Diesmal waren die straff organisierten
islamischen Organisationen klar im Vorteil, während ihre
post-revolutionären Konkurrenten erst noch Tritt fassen müssen. Das
aber kann in vier Jahren schon anders sein.
Auch die politisch-inhaltliche Mitte muss sich in Ägypten noch
entwickeln. Diesmal konnten die Muslimbrüder das verwaiste Zentrum
mit islamischen Werteparolen für sich reklamieren. Politisch
befestigen aber lässt sich dieses Terrain nur, wenn das Motto „Islam
ist die Lösung“ auch mit konkreter Politik gefüllt werden kann.
Fazit: Gottesstaaten wie Iran und Saudi-Arabien können sich mit
ihrem Ölreichtum alle Arten von Kulturkämpfen, rückständigen Gesetzen
und islamistischen Seltsamkeiten leisten. Nicht aber Ägypten, das
Touristen braucht und Investoren. Das werden auch die Sieger am Nil
schnell begreifen.
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