Das Zauberwort moderner Großparteien heißt
Geschlossenheit. Weil die Wähler keinen Streit mögen und der
Nachrichtenbetrieb pausenlos nach Wortmeldungen giert, gilt die
geräuschlos erarbeitete Paketlösung für Personal-, Sach- und sonstige
Fragen inzwischen als Wert an sich. Vor lauter Geschlossenheit sind
die obersten Parteizirkel zu geschlossenen Gesellschaften geworden.
So herrschte dieser Tage in der Führung der NRW-CDU stilles
Entsetzen, als der Generalsekretär Andreas Krautscheid einmal
vorrechnete, dass man mit Hilfe aller Funktionäre, Gliederungen und
Postverteiler maximal 5000 der 160 000 Christdemokraten an
Rhein und Ruhr erreiche. Der Kontakt zur Masse der Mitglieder
beschränkt sich auf Geburtstagsgrüße. Die größte Partei im
bevölkerungsreichsten Bundesland musste sich eingestehen, ihr
wichtigstes Kapital, die breite Verankerung im Alltag normaler Leute,
sträflich zu vernachlässigen. Ein Mitgliederentscheid über den
kommenden Landesvorsitzenden der CDU gilt deshalb als gute Idee, um
die Basis in einer relevanten Frage zu beteiligen. Nach dem Absturz
bei der Landtagswahl im Mai tut Aktivierung Not. Doch den Aspiranten
auf das Erbe von Jürgen Rüttgers, Ex-Familienminister Armin Laschet
und Bundesumweltminister Norbert Röttgen, scheint der Kampf mit
offenem Visier nicht geheuer. Laschet wird von gehässigen
„Parteifreunden“ als Mediendarling und Ehrgeizling charakterisiert,
weil er es wagte, sein Interesse am Chefposten in der politischen
Sommerpause anzumelden. Der wendige Aachener lotete bis zuletzt aus,
wie sich eine Auseinandersetzung, bei der er „beschädigt“ werden
könnte, vermeiden ließe. Röttgen zögert derweil, weil sich der
scharfsinnige Analytiker mit Kabinettsrang offenbar keine Niederlage
einhandeln und schon gar nicht mit Haut und Haaren der Landespolitik
verschreiben mag. Laschet und Röttgen, beides Mittvierziger, gehörten
zur Politiker-Generation der Rückversicherer, lästert ein
Parteifreund. Risikobereitschaft, Unbedingtheit, Härte seien für
diese Pragmatiker der Macht nicht kennzeichnend. Der altersweise
Vortragsreisende Joschka Fischer hat einmal geraunt, die dünne Luft
der politischen Achttausender vertrügen nur wenige. Helmut Kohl
erklomm sie mit Kühnheit und Willensstärke. Gerhard Schröder rüttelte
nicht nur am Kanzleramtszaun, sondern nahm in allen Weggabelungen
seiner Karriere wenig Rücksicht auf Verluste. Selbst Angela Merkels
Aufstieg begann mit einem mutigen Zeitungsartikel. Der Landesvorsitz
der NRW-CDU ist im Hochgebirge der Macht allenfalls ein Basislager.
Wer aber Niederlage und Risiko scheut, sollte sich gar nicht erst auf
den Weg machen.
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