Gewerkschaften kämpfen für höhere Löhne, ihr
natürlicher Gegner sind die Arbeitgeber. Weil Gewerkschaften aber
selbst Arbeitgeber sind, kämpfen sie einmal im Jahr gegen sich
selbst. Wie perfekt ihnen diese Sinnesspaltung zuweilen gelingt,
dürfen wir schon zum zweiten Mal in diesem Jahr bewundern: Verdi war
es vergönnt, im Frühjahr mit Gebrüll fünf Prozent im öffentlichen
Dienst zu fordern – und gleichzeitig 1,5 Prozent für die eigenen
Mitarbeiter als ausreichend zu verkaufen. Nun übt sich der
Dachverband DGB im Rollentausch. Weniger als ein Prozent – was würde
ein Tariffuchs dazu auf der anderen Seite des Tisches wohl sagen?
Unannehmbar? Zynisch? Gerade in Zeiten des Aufschwungs ein Schlag ins
Gesicht der Beschäftigten? So in der Art.
Natürlich müssen auch Gewerkschaften auf Mitglieder- und
Einnahmenverluste reagieren. Doch dann müssen sie sich entscheiden,
was wichtiger ist: Glaubwürdigkeit oder Kreditwürdigkeit? Denn
natürlich klingen DGB-Chef Sommers Forderungen nach ordentlichen
Lohnerhöhungen im Nachhall reichlich hohl, wenn man sich das Angebot
an die eigenen Mitarbeiter ansieht. Er sollte sich diese Blöße nicht
geben und nachbessern – sonst drohen verhärtete Fronten zwischen
Gewerkschaft und Gewerkschaftern.
Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-6528
zentralredaktion@waz.de