WAZ: Nerven bewahren beim Streik – Kommentar von Rolf Kiesendahl

Keine Katastrophe bricht heute über uns herein, und
auch keine Heimsuchung anderer Art. Das öffentliche Leben kommt nicht
zum Erliegen. Und niemand muss hungern oder frieren. Es sei denn, er
ist zu dünn angezogen. So gesehen bietet der Warnstreik der
Eisenbahner kaum Erregungspotenzial. Hier übt eine Berufsgruppe ihr
Streikrecht aus, das in der Verfassung verankert ist. Der hat gut
schwätzen, werden viele denken, die heute morgen nur auf Umwegen zur
Arbeit gelangen. Mit Bus- oder Bahnlinien, die sie bisher nur vom
Hörensagen kannten. Oder im Stau auf der Autobahn stehen, der wegen
des Streiks noch ein paar Kilometer länger ausfällt. Manche werden
sich als Geiseln der Eisenbahner wähnen, die natürlich mit ihren
Maßnahmen den empfindlichsten Nerv unserer Arbeitswelt treffen.
Andererseits: Deutsche Gewerkschaften gehen in der Regel sehr
besonnen mit ihrer schärfsten Waffe um. Was also tun? Am besten früh
genug starten, denn laut Gesetz rechtfertigt ein Warnstreik kein
Zuspätkommen zur Arbeit. Und versuchen, mit Kollegen, Nachbarn und
Freunden Fahrgemeinschaften zu bilden. Vielleicht entsteht daraus
sogar eine Dauereinrichtung. Nicht zuletzt: Ruhe bewahren und nach
Möglichkeit entspannt bleiben. Es gibt schließlich Schlimmeres als
langes Warten auf die nächste Bahn. Auch wenn–s nervt.

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