WAZ: Ratlosigkeit nach dem Blutbad. Leitartikel von Martin Gehlen

Assad und Gaddafi führen Krieg gegen ihre eigenen
Völker, Libyens Aufständische schießen aufeinander, Jemens Staat
kollabiert – der arabische Frühling erlebt seine ersten Tragödien.
Drei arabische Nationen werden zerrissen von dem Versuch ihrer
Völker, die jahrzehntelangen Dauerdiktatoren abzuschütteln. Die
Regime wehren sich mit allen Mitteln, ihre Profiteure kennen keine
Skrupel. Von Woche zu Woche steigt die Zahl der Toten. Libyen könnte
enden als ein von Warlords und islamistischen Gangs zerfetztes Land.
Jemen drohen Hunger, Zerfall und El Kaida-Emirate. Syrien könnte wie
sein unglücklicher Nachbar Irak abstürzen in Anarchie und chronische
religiöse Gewalt.

Zu Syrien ist in New York der UN-Sicherheitsrat erneut
zusammengetreten. Das Entsetzen über Assads Blutbad vom Wochenende
ist groß – in den westlichen Staaten. China dagegen schweigt,
Russland als Hauptverbündeter von Damaskus meldete sich immerhin
erstmals mahnend zu Wort. Trotzdem bleiben die Möglichkeiten, von
außen in den Machtkampf einzugreifen, begrenzt. Ein paar Sanktionen
hier, ein paar Presseerklärungen dort, ein paar ausgewiesene
Diplomaten – das alles beeindruckt Assad nicht. Das syrische Regime
ist gegen äußeren Druck weitgehend immun. Seine Machtzirkel im
Inneren haben so viel zu verlieren, dass sie nur Sieg oder Untergang
kennen.

Die internationale Gemeinschaft kann kaum verbergen, wie ratlos
sie vor der syrischen Eskalation steht. Zwar zeigt der Fall Libyen,
dass man militärisch auf Seiten der Aufständischen eingreifen kann,
um die Zivilbevölkerung gegen Massaker des Regimes zu schützen. In
Syrien aber ist die Lage anders. Razzien im Land, Scharfschützen auf
den Dächern und Panzer vor Moscheen lassen sich nicht aus der Luft
bekämpfen. Die Aktivisten wünschen ausdrücklich keine militärische
Einmischung. Ein Regimewechsel in Tripolis oder Damaskus ist nicht
Sache der Nato. Das bleibt Aufgabe der libyschen und syrischen
Bevölkerung. „Euer Schweigen tötet uns“, gaben die Organisatoren in
Syrien für die Demonstration am letzten Freitag als Motto aus. Der
Appell richtete sich vor allem an die eigenen Landsleute, die zögern,
gegen das Regime mitzukämpfen.

Fazit: Nur wenn sich noch viel mehr Landsleute an den Aufständen
beteiligen, werden Assad und Gaddafi stürzen. Hier liegt der
Schlüssel für die Zukunft. Nur dann werden sich die Menschen am Ende
als Meister ihres Schicksals fühlen und für die Folgen ihrer
Revolutionen einstehen.

Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-6528
zentralredaktion@waz.de