Ein bundesweit agierendes Schienenkartell soll nach
Recherchen der WAZ-Mediengruppe (Dienstagausgabe)seit 1986 kommunale
Verkehrsbetriebe ausgenommen haben. Betroffen sind unter anderem die
Essener Verkehrsbetriebe und die Düsseldorfer Rheinbahn. Dazu kommen
illegale Preisabsprachen bei Schienenprojekten im Rahmen der
Deutschen Einheit sowie der wichtigsten Hochgeschwindigkeitstrassen
der Deutschen Bahn. Das Kartell im so genannten „Privatmarkt“ wurde
von den Stahlkonzernen ThyssenKrupp und der österreichischen
Voestalpine geführt. Der Schaden durch die Preisabsprachen ist noch
nicht bekannt. Die Gesamtkosten für die betroffenen Projekte liegen
bei weit über 30 Milliarden Euro. Die Staatsanwaltschaft Bochum
ermittelt. Bislang ist nur ein Kartell der so genannten
„Schienenfreunde“ im direkten Geschäft mit der Deutschen Bahn
aufgearbeitet. Hier wurden die am Kartell beteiligten Unternehmen vor
wenigen Wochen wegen illegaler Preisabsprachen zu einem Bußgeld von
insgesamt 124,5 Millionen Euro verdonnert – den größten Anteil mit
103 Millionen Euro musste die Essener Thyssen-Krupp-Tochter GfT
Gleistechnik zahlen. Verhandlungen mit der Bahn über Schadenersatz
laufen. Das Ausmaß des jetzt aufgeflogenen Kartell im „Privatmarkt“
könnte den Angaben zu Folge noch größer sein. Unter dem Begriff
„Privatmarkt“ fassten die beteiligten Unternehmen alle Geschäfte
zusammen, die nicht die Deutsche Bahn direkt betrafen. Darunter
fallen also alle Geschäfte mit kommunalen Betrieben. Außerdem alle
Vorhaben, bei denen Baufirmen zunächst die Schienen von den
Produzenten kauften und dann an die Deutschen Bahn weiterreichten –
so wie im Fall der Hochgeschwindigkeitstrassen. Brisant werden die
Ermittlungen durch Verstrickungen ins Rotlicht-Milieu. So soll einer
der am Kartell beteiligten Geschäftsführer des Konzerns Voestalpine
wiederholt Kunden und Geschäftspartner in Bordelle eingeladen haben.
Unter anderem in den Berliner Erotik-Klub „Bel Ami“. Der betroffene
Geschäftsführer bestreitet, dass es sich um Bestechung gehandelt
habe. Er habe die Bordellbesuche gewissenhaft als Bewirtungen mit
seinem Konzern abgerechnet. Voestalpine sagte, entsprechende
Einladungen würden im Konzern nicht geduldet. Der Geschäftsführer sei
entlassen worden. Das Geld habe er zurückzahlen müssen. ThyssenKrupp
und Voestalpine wollten sich zu Details des Kartells im „Privatmarkt“
wegen der laufenden Ermittlung zunächst nicht weiter äußern. Nur so
viel: Voestalpine sieht sich wie im abgeschlossenen Fall der
„Schienenfreunde“ in der Rolle eines „Kronzeugen“. Auch ThyssenKrupp
betont, mit den Behörden zu kooperieren.
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