Sigmar Gabriel tut gut daran, die Atomkonzerne nicht
aus ihrer Verantwortung für den Rückbau der Atomkraftwerke und die
Endlagerung des Mülls entlassen zu wollen. Doch dafür gibt es mehr
als eine Möglichkeit und über das „Wie“ zu streiten, könnte sich
lohnen. Bleiben die Rückstellungen in den Konzernen, wäre die
unbefristete Haftung konsequent und richtig, um die Risiken für die
Steuerzahler zu begrenzen. Sich schon jetzt darauf festzulegen, macht
aber die Alternative hinfällig: eine Atomstiftung. Und die sollte der
Politik zumindest mal einen Gedanken wert sein.
In eine Stiftung müssten die Konzerne ihre gesamten Rückstellungen
einbringen, teils in bar, teils als Unternehmenswerte, die etwa bei
RWE vor allem in den Kohlekraftwerken stecken. Damit würde die
Atomstiftung faktisch zur Abwicklungsanstalt zweier Energieträger,
die früher oder später politisch nicht mehr gewollt sind. Dem
Atomausstieg folgt der Kohlestromausstieg – die Frage ist nur, wann.
Nicht ohne Grund hat der IGBCE-Chef Michael Vassiliadis vor geraumer
Zeit eine nationale Steinkohle-Verstromungsgesellschaft in die
Diskussion gebracht.
Beides – Atom- und Kohleausstieg – geordnet aus einer Hand und
unter staatlicher Aufsicht zu organisieren, klingt alles andere als
abwegig. Zentral einen direkten Zugriff auf die Atom-Rückstellungen
zu haben, wäre ebenfalls von großem Vorteil, schließlich fallen die
Kosten nach und nach statt auf einmal an. Zudem wüchse der Druck auf
die Politik, die Endlager-Diskussion nicht endlos in die Länge zu
ziehen.
Der große Nachteil wäre die Ungewissheit, ob die Rücklagen
wirklich reichen und ob etwa die Kohlekraftwerke künftig genug
abwerfen, um den Atom-Rückbau zu finanzieren. Nur: Umgekehrt wäre es
auch blauäugig zu glauben, dieses Risiko bestünde nicht, wenn die
Rücklagen in den Konzernen bleiben. Eine unbegrenzte Haftung gibt
niemandem die Garantie, dass die Konzerne in Zukunft mögliche
Verluste im konventionellen Stromgeschäft auch unbegrenzt stemmen
können. Wer will denn heute wissen, wie es RWE und Eon im Jahr 2040
geht, wenn womöglich mit dem Bau des Endlagers begonnen wird?
Am Ende haftet ohnehin der Staat, wenn das eine oder das andere
Modell scheitert. Welches das bessere ist, will wohl überlegt sein.
Wer, wenn nicht eine Große Koalition, sollte eine auf Jahrzehnte
angelegte Entscheidung dieser Tragweite treffen. Aber bitte nicht
ohne eine gründliche, offene Debatte.
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