Warum wollen die Stuttgarter keinen neuen Bahnhof?
Wegen der Fledermäuse, die im alten Gemäuer zu schützen sind. Wegen
der Mineralquellen, die im Untergrund der Schwabenmetropole durch
Rammarbeiten bedroht sein könnten. Wegen 300 alter Bäume, die wohl
fallen. Ja, und da sind – zweifellos – die Milliarden-Kosten. Der Mix
aus Interessen ist kunterbunt. Der rote Faden beim spektakulären
Aufstand Südwest fehlt. Der einzige gemeinsame Nenner: Man ist
dagegen, weil „die da oben“ Stuttgart21 wollen. Und ähnlich wie die
schwäbischen Rebellen denken Bauern in Garmisch beim Nein zur
Olympia-Bewerbung 2018 und die Fehmarner, die Eier auf ihren
Ministerpräsidenten werfen, weil der sich für die große Sundbrücke
einsetzt. Die Politik macht in Deutschland eine neue Erfahrung.
Während Profis wie von Beust, Köhler und Koch ihr Engagement an den
Nagel hängen, übernehmen Ärzte, Kaufleute, Anwälte oder Schauspieler
aus der bürgerlichen Mitte die Regie in wichtigen Zukunftsplanungen
des Landes. Sie organisieren Unterschriften, eignen sich
Fachkenntnisse an, erregen öffentlich Aufsehen und kippen legitim
gefällte Entscheidungen. Volksentscheide sind ihr Kampfinstrument. In
Bayern und Hamburg änderten sie so schon Kernelemente der
Landespolitik. Mag das alles auch die Reaktion der Bürger auf Fehler
von Parteien und Eierköpfen sein. Auf Arroganz, Blindheit,
Schönrechnereien. Doch die neuen Volkshelden, die sich auf die
Barrikaden stellen, sind nicht per se Garanten für eine gute Zukunft.
Zu oft ist ihr Credo das pure Nein. Zu oft kann der Protest zum
gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Stillstand
führen. Und bringt der „bürgerliche Aufstand“ die demokratischeren
Entscheidungen? Stuttgart hat 500 000 Einwohner. 15 000
demonstrieren. Noch ist das nur eine laute Minderheit.
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