WAZ: Türkische Muskelspiele. Kommentar von Walter Bau

Den Berliner Auftritt des türkischen Präsidenten Gül
als selbstbewusst zu bezeichnen, wäre eine glatte Untertreibung.
Seine Rede an der Humboldt-Universität war eine Demonstration der
Stärke. Motto: Wenn ihr uns in der EU nicht wollt – auch egal. Wir
brauchen euch längst nicht mehr.

Angesichts einer prosperierenden Wirtschaft mit zweistelligen
Wachstumsraten und der Aussicht, sich im arabisch-muslimischen Raum
als neue Führungsmacht etablieren zu können, dreht die türkische
Politik auf. Präsident Gül lässt in Berlin die Muskeln spielen, zuvor
ließ sich Regierungschef Erdogan in den Ländern des arabischen
Frühlings für seinen anti-israelischen Kurs bejubeln.

Die Botschaft, vor allem an die EU, ist klar: Die Türkei ist kein
Bittsteller mehr, sondern präsentiert sich auf Augenhöhe. Ganz
offensichtlich will das Land am Rand Europas in einem sich neu
formierenden Weltgefüge zur Mittelmacht aufsteigen. Tatsächlich ist
die Türkei dabei, EU-Länder wie Italien oder Frankreich
wirtschaftlich abzuhängen.

Europa muss sich also auf ein neues Verhältnis zu Ankara
einstellen. Aus dem vermeintlichen „privilegierten Partner“ wird ein
angriffslustiger Konkurrent.

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