WAZ: Verhindert den Verkehrs-Infarkt. Leitartikel von Dietmar Seher

Wir lieben die weiße Weihnacht. Aber bitte ohne
rutschige Straßen, verspätete Züge und ausgefallene Flüge. Und
Schlaglöcher möge uns Petrus ganz ersparen. Geht das, Deutschland?
Nein. Es geht nicht.

Aber dieser Kälteeinbruch gibt schon Anlass, über den Zustand
unseres Verkehrsnetzes nachzudenken. Mag die Rechnung der Industrie-
und Handelskammern, die dem Winter drei Milliarden Euro Verlust
vorrechnen, auch sehr wirtschaftstheoretisch klingen: Die Einsicht,
dass nicht nur die Reparatur der wieder auftretenden Risse in den
Straßen teuer wird, ist realistisch.

Die alte Bundesrepublik hatte hervorragende Straßen und Flugplätze
aus dem Trümmerfeld gestampft. Es gab Autobahnabfahrten im Umkreis
von zehn Kilometern um jeden Ort. Dank der Eisenbahner funktionierte
auch der Schienenverkehr als weltweites Vorbild. Bis zur Einheit.
Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs wurde Deutschland das große
Transitland Europas, und in den nächsten Jahrzehnten wird der
Lkw-Verkehr noch einmal um 60 Prozent wachsen. Hinzu kommt: Die
Menschen pendeln immer mehr. Sie werden mobiler. Sie tun das, was die
Wirtschaft immer wieder gefordert hatte. Der Verkehr fährt, gerade
vor wichtigen Feiertagen, zunehmend am Limit. Das Wetter gibt den
Rest.

Das Kleid passt also nicht mehr. Weil zudem der Aufbau Ost zu
einem Abbau West wurde, fehlen heute mindestens 1000 Kilometer
Autobahn, schnelle Güterzugstrecken, moderne Regionalbahnnetze wie
der Rhein-Ruhr-Express und ein Ersatz für marode Bauwerke. Die 68er
unter den Straßenbrücken kommen in die Jahre. 5000 von ihnen haben
Macken. Das ist ein Alarmsignal.

Für die Bundesregierung muss dieser Winter der letzte Anstoß sein,
umzusteuern. Verkehrsinvestitionen sind Voraussetzung für eine
funktionierende Wirtschaft. Sie gehören zu den Muss-Ausgaben des
Staates – so, wie es das Geld für ein stützendes Sozialsystem oder
für die Aufrechterhaltung der inneren und äußeren Sicherheit ist.
Wahrscheinlich wird auf Dauer eine Debatte über die Pkw-Maut kaum zu
vermeiden sein, wenn anderswo nicht eingespart werden kann.

Fazit: Dieser Dezember ist lehrreich. Wir sollten von ihm lernen,
dass zur Pflege der Infrastruktur mehr gehört als Schneefegen.
Verrottende Verkehrsnetze müssen auf Vordermann gebracht werden.
Sonst droht der Verkehrsinfarkt – nicht nur im Winter.

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