Schon das Foto macht Angst. Graues Pflaster. Grelle
Scheinwerfer. Eine enge Straße und Panzer hier mit weißem, dort mit
rotem Stern, die sich in 200 Meter Abstand lauernd gegenüberstehen.
Es ist am 26. Oktober 1961 in Berlin aufgenommen. Am einzigen Ort
dieser Welt, wo die hochgerüsteten Streitkräfte der USA und der
Sowjetunion direkt aufeinander zielten und an einem dieser Tage im
Kalten Krieg, die das Ende im atomaren Feuer hätten bringen können.
Der versehentliche Griff eines Schützen am Abzugshebel – von
Deutschland wäre, heute vor 50 Jahren, nur Asche geblieben. Das Bild
der Konfrontation am Checkpoint Charlie, die nach 16 Stunden durch
einen Rückzugsbefehl des Sowjetführers Nikita Chruschtschow beendet
wurde, hat sich der überlebenden Kriegsgeneration wie vielen
Nachkriegsgeborenen tief ins Gedächtnis gebrannt. Wenn sie von einer
ernsten Krise hören, dann denken sie an die in Berlin und um Kuba. An
die ständigen Drohkulissen. An gehortete Einweckgläser „für den Fall
des Falles“, den ABC-Alarm, die paar Minuten Vorwarnzeit bis zum
möglichen Einschlag der Nukleargeschosse und an Mutters Gebet am
Kinderbett: Lieber Gott, erhalte uns den Frieden. Es war Flehen,
keine Floskel. Es gab, nach Berlin und nach Kuba, wohl noch
riskantere Situationen im Kalten Krieg. Noch sind Archive
geschlossen, nicht alle bedrohlichen Vorgänge und Missverständnisse
bekannt. Die Welt, das ist seit dem Mauerfall aber klar, ist noch
einmal davongekommen: letztlich durch die Vernunft der damaligen
Staatenlenker, durch ihr Streben nach einem „europäischen Haus“,
durch viel Glück – und vielleicht dank Mutters Gebeten. Heute reden
die Deutschen wieder von Krise. Sie gucken verunsichert auf die
Gipfeldiplomatie. Es geht um den Euro, Griechenland, um Renten und
Ersparnisse. Es sind existenzielle Themen. Doch wir sollten den
Blutdruck bremsen: Merkel und Sarkozy sprechen über eine Währung und
ihre Stabilität, nicht über Krieg und Frieden. Wohlstand mag 2011 auf
dem Spiel stehen. Schlimm genug. Aber es geht nicht ums Überleben –
wie in Berlin am Checkpoint am 26. Oktober vor 50 Jahren. Das Land
hat schon ernstere Lagen überstanden. Vielleicht macht die Erkenntnis
ein wenig krisenfester. Fazit: Die Euro-Krise ist gefährlich. Aber
Europa garantiert uns heute, zwei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer,
weit mehr Frieden und Sicherheit als wir es in den Jahren des Kalten
Krieges je hatten.
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