Weser-Kurier: Kommentar zur Beschneidungsdebatte

Was wurden in den vergangenen Wochen nicht alles
für schwere Geschütze aufgefahren: Nicht weniger als das Ende der
jüdischen Kultur in Deutschland befürchteten die einen, während die
anderen meinten, kleine Jungen vor der Traumatisierung durch ihre
Eltern schützen zu müssen. Der Streit um das Kölner
Beschneidungsurteil wurde zuweilen regelrecht hysterisch geführt. Was
letztlich auch daran lag, dass es im Kern um sehr viel mehr als die
rituelle Vorhautentfernung ging: Wie viel religiöse Einflussnahme
verträgt ein säkularer Staat wie Deutschland? Kann sich
jahrhundertealte jüdische oder muslimische Tradition über Grundrechte
hinwegsetzen? Angesichts der vielen Zuspitzungen in der Debatte kann
der Kompromiss, der sich gestern bei der Sitzung des Ethikrates
abzeichnete, kaum hoch genug eingeschätzt werden. Ja, man reibt sich
schon verwundert die Augen, wie schnell sich beide Seiten, deren
Positionen meilenweit auseinander schienen, aufeinander zubewegt
haben. Und nun? Jetzt könnte sich – im besten Falle – die Debatte so
schnell im Nichts auflösen, wie sie entstanden war. Der Ethikrat, vor
dessen gestriger Sitzung noch einmal Maximalforderungen bekräftigt
worden waren, hat der Debatte die Schärfe genommen. Es wurde endlich
verbal abgerüstet. Die jüdische Seite kann sich jetzt verschiedene
Regeln für die Beschneidung vorstellen, insbesondere zur
Schmerzlinderung bei Säuglingen. Und die vormals strikten Gegner des
Eingriffs halten unter diesen Voraussetzungen einen Kompromiss für
möglich. Es läuft also auf ein „Ja, aber …“ hinaus. Und das ist
auch gut so. Denn beide Seiten haben gute Argumente, der Widerspruch
zwischen den verschiedenen Rechtsgütern lässt sich nicht auflösen.
Ein Verbot der Beschneidungen wäre realitätsfern, die Bundesrepublik
stünde damit international ziemlich allein da. Und natürlich – jeder
hat das im Hinterkopf – muss Deutschland mit Blick auf seine
Geschichte besonders sensibel agieren, wenn es um Eingriffe in
jüdische Traditionen geht. Das bedeutet noch lange keinen Freibrief
für jedwede Rituale oder ein Abwürgen der Debatte – eine ganz
besonders gewissenhafte Abwägung bedeutet es allerdings.

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