Die Erwartungen an den Bundespräsidenten waren
groß. Das ist immer so, wenn der höchste Vertreter der Bundesrepublik
Deutschland zu einem Staatsbesuch nach Israel reist. Doch bei Joachim
Gauck waren sie noch ein bisschen größer als sonst. Das liegt an den
vielen Vorschusslorbeeren, mit denen er in sein Amt gestartet ist.
Den „Präsidenten der Herzen“ hatte sich die Mehrheit der Deutschen
schon 2010 als Nachfolger des zurückgetretenen Horst Köhler
gewünscht. Gauck musste also nicht nur gut sein, sondern sehr gut.
Und er war es. Er fand nicht nur die richtigen Worte, er war auch
authentisch und bemerkenswert konkret. Es waren eben nicht nur die
immer gleichen Beschwörungsformeln zum Existenzrecht Israels und zur
Zwei-Staaten-Lösung – es waren zum Beispiel Gaucks
unmissverständliche Aussagen zum drohenden Konflikt zwischen Tel Aviv
und Teheran. Der Bundespräsident warnte Israel vor „Kriegsszenarien“.
Und er rückte den von Bundeskanzlerin Angela Merkel geäußerten
Begriff der deutschen Staatsräson im Zusammenhang mit Israels
Sicherheit zurecht. Gauck stellte die berechtigte Frage, ob diese
Zusage nicht im Fall einer militärischen Konfrontation zwischen
Israel und Iran „womöglich eine Überforderung“ für Deutschland
bedeuten könne. Das anzusprechen war mutig. Doch es zeigt, dass es
ihm wirklich ernst war mit seiner Ankündigung, gerade als Freund
Israels Kritik üben zu dürfen. Dazu gehörte auch sein Hinweis an Tel
Aviv, nur dann eine friedliche Zwei-Staaten-Lösung erreichen zu
können, wenn die berechtigten Belange des palästinensischen Volkes
geachtet würden. Gauck sprach all das mit einer solchen
Selbstverständlichkeit an, wie vor ihm noch kein Bundespräsident.
Dass er durch ein Interview nun auch noch eine erneute Debatte über
die Äußerung seines Vorgängers Christian Wulff zum Islam ausgelöst
hat, verblüfft allerdings. Warum gerade jetzt? Warum noch während
seines Staatsbesuchs in Israel? Wulff hatte im Oktober 2010 in Bremen
gesagt: „Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“ Dass
Gauck das relativiert, ist sein gutes Recht. Doch das taten auch
schon andere vor ihm. Manchmal scheint es, als wolle der neue
Präsident zu viel auf einmal. Wulff war sein Schweigen vorgehalten
worden – Gauck sollte nicht ins Gegenteil verfallen. Manchmal ist
weniger mehr. Und es hat die nötige Zeit, um nachzuwirken.
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