Weser-Kurier: Kommentar zur Wirtschaftsentwicklung

Es ist ein bisschen wie im Märchen von Hase und
Igel: Die Politik rennt gehetzt los, wähnt sich am Ziel, aber da
lauert schon die nächste Krise, die eigentlich immer noch die alte
ist. Die Erleichterung über den Wahlausgang in Griechenland hielt
nicht lange an. Denn nach Monaten des Stillstands fängt die
eigentliche Arbeit – die Durchsetzung der Sparvorgaben und zugleich
die Entwicklung von Perspektiven für die Bevölkerung – gerade erst
an. Man möchte nicht mit Antonis Samaras tauschen. In Zypern wird der
Antrag auf Schutz durch den Rettungsschirm vermutlich bereits
geschrieben, Spanien bleibt bisher vehement dabei, dass „nur“ der
Bankensektor, nicht aber der Staat Hilfe brauche, um sich dem
Spardiktat der Troika zu entziehen. Italien hofft ebenfalls den
Schritt unter den Rettungsschirm und damit unter die Finanzaufsicht
vermeiden zu können – aber wie lange noch? Die gleiche Skepsis gilt
für Frankreich, wo die neue Regierung unter François Hollande gerade
Kassensturz macht und sehr bald Ernüchterung über die Wahlversprechen
der Sozialisten eintreten wird. Aber da ist doch noch Deutschland,
der starke Motor der Euro-Zone, der sichere Hafen für Anleger, dessen
Schuldenagentur gerade wieder zu null Zinsen am Kapitalmarkt Geld
borgen konnte. Die Zeichen mehren sich, dass es damit bald vorbei
ist. Unsere stark vom Export abhängige Wirtschaft hat bisher davon
profitiert, dass unsere europäischen Nachbarn ebenso wie die
Schwellenländer bei uns eingekauft haben. Die Wirtschaft in China
schwächelt, wenn auch verglichen mit Europa oder den USA auf hohem
Niveau. Wenn die Wirtschaft in Griechenland am Boden liegt, macht
sich das für den deutschen Export kaum bemerkbar. Aber Frankreich ist
immer noch unser stärkster Handelspartner. Auch die Probleme in
Italien und Spanien wirken sich unmittelbar aus. Wenn die Nachfrage
nach deutschen Autos, Maschinen und Anlagen sinkt, wird es mit dem
deutschen Jobwunder bald wieder vorbei sein. Nach einer Umfrage des
Markit-Instituts werden in der Industrie bereits wieder so viele
Stellen gestrichen wie seit zweieinhalb Jahren nicht mehr. Das zeigt:
Deutschland ist in der Euro-Krise nicht nur Teil der Lösung – als
Geldgeber und Mahner. Deutschland ist Teil des Problems, das nur
gemeinsam gelöst werden kann. Sparen allein hilft da nicht.

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