Weser-Kurier: Leitartikel von Jürgen Wendler über Freizeit und Urlaub

Noch vor wenigen Jahrhunderten machten
Handwerksgesellen nicht nur montags blau. So wurde zum Beispiel in
der Preußischen Handwerksordnung von 1733 ausdrücklich beklagt, dass
sie auch sonst dazu neigten, sich der Arbeit eigenmächtig zu
entziehen und müßigzugehen. Eine Arbeitsmoral, wie sie in Deutschland
seit Langem als selbstverständlich gilt, gab es damals noch nicht.
Sie ist das Ergebnis von Entwicklungen seit Beginn der
Industrialisierung – und nicht nur sie: Auch die Neigung, Arbeit auf
der einen und Freizeit auf der anderen Seite scharf zu trennen, geht
darauf zurück. Wenn manche Arbeitgeber heute betonen, dass sie die
scharfe Trennung für falsch hielten, dass Arbeit nicht nur eine Last
sei, sondern auch die Möglichkeit eröffne, Spaß zu haben und sich zu
verwirklichen, schlägt ihnen sofort Misstrauen entgegen. Die Gründe
dafür liegen auf der Hand: Der Druck hat in zahlreichen Betrieben
über Jahre zugenommen; Freiräume sind knapper bemessen; und viele
Beschäftigte haben das Gefühl, ein Korsett zu tragen, das immer enger
geschnürt wird. Wer so empfindet, dem sind Urlaub und Freizeit
heiliger denn je. Er wird alles kritisch beäugen, was nur im Ansatz
den Anschein erweckt, er solle mehr Zeit in die Arbeit stecken.
Solche Entwicklungen zeigen nicht zuletzt, welche Risiken ein bis zum
Exzess getriebenes Effizienzdenken für das Miteinander birgt. Klug
ist es aber auch deshalb nicht, weil es verkennt, wie wichtig
Freiräume und Muße sind – und das nicht nur im Privatleben, sondern
auch bei der Arbeit. Freizeit ist weitaus mehr als nur eine
Erholungsphase zur Wiederherstellung der Arbeitskraft. Viele Menschen
kennen die Erfahrung, dass sie Lösungen für Probleme oder gute Ideen
nicht etwa entwickeln, wenn sie unter Stress stehen, sondern dann,
wenn sie Zeit zum Nichtstun oder Nachdenken haben. Wer von einer
Aktivität zur nächsten hetzt, sei es bei der Arbeit oder auch in der
Freizeit, leidet am Ende unter Stress und verliert an Kreativität.
Auf diese aber sind nicht nur Unternehmen angewiesen. Auch die
Gesellschaft benötigt kreative Menschen.

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