So unbestritten die historische Bedeutung des
Altbundeskanzlers Helmut Kohl ist, so umstritten ist sein Agieren als
Privatmann nach der Abwahl. Nicht nur, weil Kohl selbst Historiker
ist, weiß er um die Macht des Vermächtnisses. Der heute 84-Jährige
hat immer wieder für symbolträchtige Bilder gesorgt, die die Zeit
überdauern werden: Das Händehalten mit François Mitterrand an den
Gräbern von Verdun ist nur eines davon.
Als Politiker war der Pfälzer bereits eine öffentliche Person, als
Kanzler wurde er ein wichtiger Teil deutscher Geschichte.
Parteifreunde sprachen ihm bereits im Amt historische Bedeutung zu,
Kohl nahm die Ehre gern an. Sein Problem: In Amt und Würden hatte er
weitgehend selbst die Deutungshoheit, nach seinem Abgang 1998 und der
anschließenden CDU-Spendenaffäre versuchte er, sie durch konsequentes
Schweigen und Abschottung zu behalten.
Geschichte wird in der objektiven Prüfung, Kombination und Deutung
wichtiger Quellen aufgearbeitet. Die Bänder, auf denen Helmut Kohl
rund 630 Stunden seine Motive und Gedanken schildert, sind eine
solche Quelle, wie sie selten zu finden ist. Für Historiker wären sie
wahrscheinlich, und sei es erst 25 Jahre nach dem Ableben Kohls, eine
Goldgrube bei der Analyse jüngster Geschichte. Das will Kohl aber
offenbar nicht. Er möchte selbst auswählen, an was sich die
Gesellschaft erinnern soll – mutmaßlich an das Denkmal vom Kanzler
der Einheit ohne Kratzer. Kohl mag juristisch im Recht sein. Das
Gericht hat den ideellen Wert der Bänder zwar erkannt, diesen aber
logischerweise nach rein gesetzlichen Aspekten bewertet.
Historisch-gesellschaftliche Kriterien spielten in dem Prozess keine
Rolle.
Auf der anderen Seite verweigert Kohl einen Dienst an der
Gesellschaft und der Geschichte seines Landes, sollte er verfügen,
dass die Bänder dauerhaft unter Verschluss bleiben. Er zahlt dafür
bereits jetzt persönlich einen hohen Preis: Seine Sturheit und seine
Verweigerungshaltung prägen das Bild das Alt-kanzlers Helmut Kohl.
Mit seiner Strategie in der Tonband-Frage hat er dieses Bild
zusätzlich gefestigt. Nur er selbst ist in der Lage, es nochmals zu
korrigieren. Eine Lösung wäre, die Bänder dem Bundesarchiv zu geben.
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