Westdeutsche Zeitung: Bahn will mit Pünktlichkeit punkten = Ingo Faust

Pünktlichkeit ist spätestens seit Bismarcks
Zeiten eine deutsche Tugend. „Fünf Minuten vor der Zeit, das ist
preußische Pünktlichkeit“, hieß es allgemein noch Mitte des vorigen
Jahrhunderts. Damals hielten sich die Unpünktlichkeiten von Zügen der
Deutschen Bundesbahn noch im Promille-Bereich. Zu Zeiten vor der
Erfindung von Atomuhren konnten die Menschen ihre Armbanduhren noch
nach der Ankunft und Abfahrt von Zügen stellen – heute ein Unding.

Offenbar als späte Reaktion auf eine vernichtende Studie der
Stiftung Warentest, nach der gemessen über einen längeren Zeitraum
ein Drittel aller Fernzüge Verspätung hatte, will die Bahn ab
September mit Pünktlichkeits-Statistiken punkten und sie frei
einsichtbar für die Öffentlichkeit ins Internet stellen. Das ist ein
genialer Schachzug von Bahnchef Rüdiger Grube. Kostet nichts, bringt
auch nichts, könnte man sagen. Die Daten werden eh betriebsintern
erfasst. Sie werden nicht unabhängig geprüft und dürften der Bahn
grundsätzlich eine Pünktlichkeit von über 90 Prozent bescheinigen.

Für diesen hohen Wert sorgt schon die breite Basis von
hunderttausenden von Zugverbindungen innerhalb eines Monats. Da
lassen sich ein paar Verspätungen leicht verkraften. Ohnehin ist es
bei Verspätungen wie mit der Kälte: Es gibt tatsächliche und gefühlte
Werte. Viele Bahnkunden fühlen und mussten es auch erleben, dass das
Verkehrsunternehmen es mit den Zeiten nicht mehr so genau nimmt. Fünf
Minuten Verspätung gelten sowieso noch als pünktlich. Da sind die
Schweizer pingeliger. Bei ihnen gilt alles ab zwei Minuten als
verspätet, bei den Japanern sogar ab einer Minute.

Obwohl die geplanten Pünktlichkeits-Statistiken nichts bringen,
ist es lobenswert, dass die Bahn endlich den Mangel an
Kundenfreundlichkeit erkannt hat. Sie will ihre Service-Wüste kräftig
bewässern und nimmt dafür insgesamt einen dreistelligen
Millionenbetrag in die Hand.

Das ist gut angelegtes Geld, denn auf der Schiene liegt die
Zukunft. Daran müssen sich die Menschen aber auch gerne und ohne
Frust gewöhnen können. Für die Autofahrer ist Pünktlichkeit bei
vollgestopften Straßen ohnehin kein Thema mehr. Je nach Staulage
kommt man halt mal eine Stunde früher, mal eine Stunde später an.

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