Westdeutsche Zeitung: Bemerkenswerte Trends bei der Wahl in Berlin – Die deutsche Spaß-Hauptstadt Ein Kommentar von Martin Vogler

In Berlin haben viele Spaß. Vor allem
Bürgermeister Wowereit, der sich aussuchen darf, ob er mit den Grünen
oder der CDU weiter regieren darf. Spaß hatte er sogar schon im
Wahlkampf, als er stets den lustigen Typen mimte. Viele Berliner
lieben ihn wegen seiner schnoddrigen Sprüche, stören sich auch nicht
daran, dass Wowereit konsequent um inhaltliche Aussagen einen großen
Bogen macht.

Verblüffend, irritierend und gar nicht so lustig, wie es auf den
ersten Blick scheinen mag, ist der unglaubliche Erfolg der
Piratenpartei. Sowas funktioniert in einer bunten Großstadt wie
Berlin besonders gut. Dennoch ist deren Erstarken ein Alarmsignal
dafür, wie sehr etablierte Parteien an Bürgernähe und Glaubwürdigkeit
verloren haben. Was trotz ihres guten Abschneidens auch für die
verbürgerlichten Grünen gilt. Wer eine frische, alternative
Gruppierung sucht, landet bei den Piraten, oder wie solche bunten
Gruppen künftig auch heißen mögen.

Wie für Wowereit gilt auch für die Piraten: Show geht vor
Substanz. Ein Wahlprogramm, das hauptsächlich beim Nischenthema
Internetfreiheit Profil zeigt, erst kurz vor der Wahl ein paar
Sozialthemen auflistet und die öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos
machen will, ist arg dürftig. Aber zumindest in Berlin ist das
erfolgreich. Es wird spannend, wie die Piraten im parlamentarischen
Alltag ankommen.

Spaß gab es gestern sogar bei der FDP. Was allerdings nur daran
lag, dass sich ungebetene Satiriker bei ihnen einschlichen und
„Jetzt-gehts-los“ skandierten, was man angesichts der liberalen
Katastrophe durchaus als pietätlos empfinden konnte. Denn die
Wahlergebnisse dieses Jahres waren bisher schon schlimm, seit gestern
ist die FDP zur Splitterpartei verkommen. Ein radikaler Kurswechsel
könnte anstehen: Vom hektischen Austausch der so jungen
Führungsmannschaft bis zum Koalitionsbruch im Bund scheint da in
Panikstimmung alles möglich.

Vielleicht nicht Spaß, aber zumindest Freude, konnten Grüne und
CDU empfinden. Denn im Gegensatz zu Wowereits SPD legten beide zu.
Nicht so glücklich lief es für die Linken: raus aus der Regierung und
Stimmenverluste. In einer Stadt mit vielen alten DDR-Fans und über 20
Prozent Hartz-IV-Empfängern ist das bemerkenswert.

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