Westdeutsche Zeitung: Betreuungsgeld = von Martin Vogler

Um vorauszusagen, dass das Projekt
Betreuungsgeld entweder bis zur Unkenntlichkeit verändert oder
womöglich sogar komplett scheitern wird, muss man kein Hellseher
sein. Doch auch wenn inhaltlich einiges für einen kühlen Abschied von
dem Plan spricht, wird das schwer. Der Grund heißt CSU. Denn der
bayrische Koalitionspartner hat sich dermaßen in das Thema
hineingesteigert, dass ohne Gesichtsverlust ein Umdenken schwer
möglich ist. Wobei immer noch offen ist, ob die Politiker aus dem
Freistaat überhaupt innerlich zum Einlenken bereit wären. Es ist gut
möglich, dass sie weiterhin in der Tiefe ihres Herzens vom Segen
einer solchen Regelung überzeugt sind. Dabei handelt es sich bei den
gegensätzlichen Positionen innerhalb der Koalition vor allem um ein
großes Missverständnis. Denn wer individuelle Freiheit – etwa in Form
eines selbstbestimmten Familienlebens – schätzt, muss das
Betreuungsgeld gut finden. In einer intakten Familie kann es sich für
alle positiv auswirken, wenn Kinder statt in Tagesstätten zu Hause
betreut werden. In weiten Teilen Bayerns mag das funktionieren. Doch
der Denkfehler ist der Versuch, die Verhältnisse in Bad Tölz oder
Bayreuth ins Rheinland, Ruhrgebiet oder nach Berlin zu übertragen.
Zum Beispiel Migrantenfamilien finanziell dafür zu belohnen, dass sie
ihrem Nachwuchs die dringend nötige – auch sprachliche – Förderung in
Tagesstätten vorenthalten, wäre eine fatale Aktion. Doch das
Missverständnis in der Koalition lässt sich jetzt nur noch unter
Schmerzen ausräumen. Erschwerend hinzu kommt, dass das Betreuungsgeld
nicht als einziges Thema den Koalitionsfrieden belastet. Insofern
sind die gestern geäußerten Beteuerungen, weiter um einen Konsens zu
ringen, logisch. Kanzlerin Merkel muss dafür werben, um die Regierung
nicht ins Schlingern zu bringen. Die kleineren Partner CSU und FDP
müssen versuchen, ohne Schrammen aus der Debatte zu kommen. Die
Hoffnung der Opposition, die Koalition könnte an dem Thema letztlich
zerbrechen, wird sich jedoch nicht erfüllen. Denn wenn ein
Machtverlust ernsthaft droht, steigt stets die Dialogbereitschaft.
Hoffentlich gibt es keinen faulen Kompromiss, der sich durch
Bürgerferne und hohe Kosten auszeichnet.

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