Ja, war denn gestern schon Weihnachten?
Immerhin hat Christian Wulff bereits drei Tage vor Ausstrahlung
seiner eigentlichen Weihnachtsansprache quasi deren ersten Teil
gehalten. Und das war wichtig. Denn die Bürger haben seit Tagen auf
klare entschuldigende Worte gewartet. Vor allem hätte kaum jemand
verstanden, wenn er tatsächlich am Sonntag seine bereits
aufgezeichnete Rede hätte senden lassen und sich weiterhin um die
Vorwürfe gegen ihn herumgedrückt hätte. Das hat Wulff begriffen. Es
ist gut, dass er endlich an die Öffentlichkeit ging. Leider liegen
über seinem Auftritt etliche dunkle Schatten. Gravierend ist die
gestern neu aufgetauchte Information über die besonderen Konditionen
des Bankkredits, mit dem er das umstrittene Darlehen der Familie
Geerkens ablöste. Die BW-Bank schuf für ihn ein sehr spezielles
Konstrukt, das ihm Zinsen bescherte, von denen normale Häuslebauer
nur träumen können. Das erschüttert leider schon wieder Wulffs
Reputation. Undurchsichtig ist auch die Trennung von seinem Sprecher,
mit dem Wulff lange so eng zusammengearbeitet hat, dass er den
Spitznamen „Präsidentenflüsterer“ trug. Solch eine Vertrauensperson
in einer Drucksituation zu opfern und mit dürren Worten zu
verabschieden, hat einen schäbigen Beigeschmack. Die ebenfalls
kursierende Version, der Sprecher habe mit Rücksicht auf seine
Familie zermürbt aufgegeben, macht es nicht besser. Der Zuarbeiter
muss gehen, der Chef bleibt. Sämtliche Spekulationen über einen
Rücktritt Wulffs haben seit gestern ein Ende. Er will die Affäre um
jeden Preis durchstehen. Zudem scheinen die meisten politischen
Parteien an einem Wechsel im Amt nicht recht interessiert zu sein. Zu
unklar sind die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung. Eine
wirklich begeisternde personelle Alternative ist nicht in Sicht. Und
die Beschädigung des Präsidentenamtes wäre nicht zu vermeiden, die
riskiert niemand gerne. Auch wenn Wulffs Entschuldigung nur bedingt
überzeugte und er weiterhin zu zögerlich aufklärt – die gestrige
Ansprache dürfte genügen. Die Diskussion wird sich versachlichen,
Wulff wird seine Amtszeit ehrenhaft zu Ende bringen. Ob er danach
eine Wiederwahl schafft, ist allerdings sehr fraglich.
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