Westdeutsche Zeitung: Das Attentat auf Rebellenführer Junis und seine Auswirkungen = Von Lothar Leuschen

Der Mord an Abdulfattah Junis, dem Militärchef
der Rebellen in Libyen, offenbart grausam und zynisch, auf was sich
die Nato in dem Ölstaat eingelassen hat. Denn so eindeutig, wie
Ursache und Wirkung in diesem blutigen Drama zu sein scheinen, ist es
nicht. Fest steht nur, dass Junis wirklich tot ist. Attentäter haben
den einstigen Gefolgsmann von Muammar al-Gaddafi getötet. Aber wer
waren die Attentäter? Wer hat sie geschickt? Wie konnten sie einen
Mann töten, der seit Monaten nur in gepanzerten Limousinen, umgeben
von mehreren Personenschützern, unterwegs ist und aus
Sicherheitsgründen jede Nacht in einem anderen Haus übernachtet?
Kamen die Feinde aus den eigenen Reihen, oder haben die Schergen
Gaddafis den Ex-Innenminister hingerichtet?

Auf diese Fragen gibt es bisher keine erschöpfenden Antworten. Und
die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sich daran nicht viel ändern
wird. Dieser Fall ist so unübersichtlich wie die Lage in Libyen
selbst. Seit Monaten bekriegen sich die Truppen des Diktators Gaddafi
mit den Milizen der Rebellen. Zuletzt schien sich das Blatt zugunsten
der Aufständischen zu wenden. Aber die Diskussion um Straffreiheit
für den Despoten und jetzt der Mordanschlag auf den in weiten Teilen
der kämpfenden Rebellentruppen beliebten Junis werden die Lage
verändern. Schon machen Befürchtungen die Runde, dass der Tod des
hohen Militärs das Lager der Gaddafi-Gegner spalten könnte. Obendrein
steht der Ramadan bevor. Und niemand weiß, wie sich der Fastenmonat
der Moslems auf die Kampfmoral der Rebellen auswirken wird.

In dieser Gemengelage wirkt die Intervention der Nato in Libyen
noch hilfloser. Der inkonsequente Einsatz nur aus der Luft wird
diesen Krieg sicher nicht verkürzen. Aber angesichts der
möglicherweise nun noch unübersichtlicher werdenden Lage in den
Kampfgebieten darf es das Bündnis erst recht nicht riskieren,
Bodentruppen nach Libyen zu entsenden.

Wer auch immer Abdulfattah Junis ermordet hat, dessen Tat wiegt
schwer. Sie kann dazu führen, dass nach Ägypten, Jemen, Tunesien und
Syrien in einem weiteren Land Arabiens auf den politischen Frühling
kein Sommer folgt. Die Blütezeit endet in einer Zeit des Blutes.

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