Westdeutsche Zeitung: Das Unglück der „Costa Concordia“ wirft viele Fragen auf = Von Lothar Leuschen

Als Ursachen für tragische Ereignisse kommen
höhere Gewalt, technisches oder menschliches Versagen in Betracht. Im
Fall des Untergangs der „Costa Concordia“ vor Italiens Küste scheint
die Sachlage klar zu sein. Sehr vieles spricht dafür, dass ein
leichtfertiger Kapitän das Unglück herbeigeführt hat und sich aus dem
Staub gemacht hat, als er am dringendsten gebraucht wurde.

Ja, der Schuldige scheint überführt zu sein. Den Rest regeln
Gerichte und Versicherungen. Ein Happy End wird diese Geschichte
dennoch nicht haben. Weder Urteile noch Geld lindern den Schmerz der
Menschen, die einen Angehörigen verloren haben. Bei den geretteten
Passagieren verschwinden die furchtbaren Bilder und die Todesangst
sehr wahrscheinlich nie mehr.

Schon aus diesen Gründen verbietet es sich, so ohne weiteres zur
Tagesordnung überzugehen. Die Havarie der „Costa Concordia“ wirft
Fragen auf, die bisher weder Polizei noch Justiz beantworten können.
Was etwa hat den Kapitän in der trügerischen Sicherheit gewiegt, sein
Riesenschiff beinahe in Postkartenbreite an der Küste entlang zu
fahren? Warum war die Mannschaft offenbar nicht so auf den
Katastrophenfall vorbereitet, wie es sein muss, wenn wenige Dutzend
Profis sich um das Wohlergehen von mehr als 4000 Passagieren zu
kümmern haben? Die Antwort ist so einfach wie bitter: Routine und
mangelnder Respekt vor den Aufgaben, die der Arbeitsalltag stellt.

All das führt reflexartig zur Vorverurteilung des Kapitäns. Der
sitzt mittlerweile in Untersuchungshaft und wird aller Voraussicht
nach zur Verantwortung gezogen.

Die ganze Schuld allein auf diesen einen Mann abzuladen, greift
jedoch zu kurz. Die Reederei muss sich fragen, ob sie bei Auswahl,
Schulung und Kontrolle ihres Personals immer alles richtig gemacht
hat. Die Kreuzfahrt-Branche könnte das Unglück als Anlass zum
Nachdenken darüber nehmen, ob Schiffe wirklich immer größer werden
müssen. Wie lange es dauert, 4200 Passagiere von einem Dampfer zu
retten, hat der Fall „Costa Concordia“ beängstigend gezeigt.

Ihr Erfolg sei den Unternehmen gewünscht und gegönnt. Aber auch
für den Profit muss nicht alles gemacht werden, was technisch machbar
ist.

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