Westdeutsche Zeitung: Der kesse Vorstoß des Gesundheitsministers = von Martin Vogler

Wahrscheinlich unabsichtlich hat
Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) den eher inhaltsarmen Wahlkampf
mit einem frischen Thema bereichert. Seine – bei einem Gespräch mit
Schülerreportern vorgetragene – Idee zur Krankenversicherung
verblüfft. Denn die allgemeine Stimmung bezweifelt eher das
Existenzrecht der privaten Vollversicherungen, der Trend neigt sich
in Richtung Bürgerversicherung. Bahr kehrt das kess um, wenn er die
privaten Kassen jetzt für alle öffnen will, also auch für
Arbeitnehmer, die weniger als 4350 Euro im Monat verdienen.

Zustimmung erhielt er dafür fast nur von den
Versicherungsunternehmen. Dass die Opposition ihm vorwirft, als
Lobbyist breite Bevölkerungsteile mit diesem Konzept in eine
Armutsfalle zu treiben, war zu erwarten. Überraschender ist die
distanzierte Haltung der Union. Offenbar hatte Bahr seinen Vorstoß in
der Koalition nicht abgestimmt – und wahrscheinlich ist auch sein
Konzept gar nicht ausgereift.

Denn es gibt unzählige Fallen, wenn jeder frei entscheiden kann,
ob er privat oder gesetzlich versichert sein möchte. Vor allem für
Geringverdiener kann das, wenn die Prämien steigen und zeitgleich
sogar das Einkommen sinkt, in ein finanzielles Desaster führen. Der
Ausweg, dass der Staat dem mit einem Risikoausgleich vorbaut, wäre
auch keine Lösung. Denn das hieße, die private Versicherung so zu
reglementieren, dass sie den gesetzlichen Kassen sehr ähnlich würde.
Was nicht Bahrs Ziel sein kann.

Es spricht also vieles dafür, dass dem Gesundheitsminister seine
Idee vorschnell herausrutschte. Zu viel ist noch zu klären. Wobei,
auch wenn die FDP in der nächsten Legislaturperiode wieder
mitregiert, die Chance auf eine Umsetzung gering ist. Die Liberalen
wären als Juniorpartner zu schwach, zumal es sogar in der Union Fans
einer Einheitskasse gibt.

Doch auch wenn künftige Lösungen ganz anders aussehen werden, hat
Bahrs Vorstoß ein paar gute Seiten: Immerhin macht er darauf
aufmerksam, dass die um sich greifende Vollkasko-Mentalität im
Gesundheitswesen Tücken hat. Allein schon, wenn jeder Versicherte
automatisch über die Höhe der Arztrechnungen informiert würde, wäre
viel erreicht.

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