Dank des technischen Fortschritts, den mancher
fälschlicherweise mit einem medialen gleichsetzt, waren wir noch nie
so aktuell und umfassend über eine Katastrophe informiert wie im Fall
Japans. Zusätzlich scheinen uns allein die TV-Talkshows täglich
stundenlang die Chance zur Reflexion zu bieten. Und dennoch reagieren
wir einerseits hilflos – und wählen andererseits eine seltsame Art
der Aufarbeitung.
Bestes Beispiel ist, wie wir die Schwerpunkte in der Diskussion
setzen. Erdbeben und Tsunami radieren ganze Städte aus, riesige
Schiffe werden wie Spielzeug-Bötchen von einer Flut biblischen
Ausmaßes im Binnenland hingeworfen und seit gestern steht fest, dass
mehr als zehntausend Japaner sterben mussten. Alles Randnotizen? In
ungeheizten Notunterkünften erfrieren Menschen und zwei Wochen nach
der Katastrophe gibt es noch unzählige Vermisste. Doch wir starren
vor allem auf einen kleinen Teil Japans, nach Fukushima.
Wahrscheinlich wird erst in einigen Monaten klar werden, ob uns
hier bei den Prioritäten nicht die Dimensionen verrutscht sind. Denn:
Es gibt verstrahlte Menschen, es gibt Belastung im Trinkwasser und
noch viel mehr Sorgenerregendes. Das ist unglaublich schlimm. Doch es
ist dennoch schwer zu verstehen, wie sehr allein das Atom-Thema im
Vordergrund steht. Überspitzt: Tausende tote Japaner scheinen uns
weniger zu erschüttern als die Aussicht, dass die nuklearen Messwerte
in Europa minimal steigen, dabei aber weit unter den Grenzwerten
bleiben.
Einsehbar ist diese Fokussierung nur angesichts der bedrückenden
Ungewissheit. Auch wenn japanische Arbeiter heldenhaft dagegen
ankämpfen, droht das größtmögliche atomare Unglück. Die Angst, dass
Millionen sterben müssen, ganze Landstriche unbewohnbar, die
Weltmeere und global Nahrungsmittel verseucht werden, ist riesig und
sehr verständlich.
Schwerer nachvollziehbar ist angesichts der Not in Japan und der
Atom-Gefahr eine weitere Variante des Umgangs mit der Katastrophe:
Rechthaberei und Polemik, wie wir sie kurz vor zwei wichtigen Wahlen
in Deutschland erleben, sind taktlos. Nichts gegen ehrlich Besorgte,
aber viel gegen Leute, die innenpolitisches Kapital aus dem Unglück
in Japan schlagen wollen.
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