Westdeutsche Zeitung: Die Affäre Sarrazin = von Martin Vogler

Die Karriere Thilo Sarrazins bei der Bundesbank
ist definitiv beendet, selbst wenn der Rauswurf juristisch noch etwas
kompliziert ablaufen könnte. Für diesen spektakulären und einmaligen
Akt der Trennung lassen sich gute Gründe nennen: Vor allem könnte
sich der provozierende Buchautor Sarrazin als Bank-Vorstand
rufschädigend für das Institut und die Bundesrepublik erweisen. Für
den 65-Jährigen ist der Jobverlust zumindest wirtschaftlich keine
Katastrophe. Ihm war längst klar, dass er auf sein Buch harte
Reaktionen erhalten könnte, kalkulierte das sogar in sein
Marketing-Konzept ein. Das jetzt zu erwartende hohe Autorenhonorar
dürfte ihn sogar über die „Kündigung“ hinwegtrösten. Also ist jetzt
für alle alles wieder gut? Keineswegs. Denn wir sollten uns zwei
Sichtweisen auf die Affäre gönnen. Da ist zum einen der Autor mit
seiner teils grenzwertigen Polemik, der nicht in allen von ihm
angesprochenen Fachgebieten sattelfest scheint. Und dessen Ausflug in
die Genforschung – unter besonderer Berücksichtigung der Juden –
völlig misslang. Auch wenn er diese Fehlleistung mittlerweile
öffentlich bedauert, lässt sich diese nicht ungesagt machen. Doch
auch die zweite Perspektive dürfen wir nicht vernachlässigen: Zwar
ist der Begriff Hexenjagd, der zu hören war, ein gewagter Vergleich.
Doch wir sollten auch registrieren, dass viele Meinungsführer
unsachlich und verletzend mit Sarrazin umgingen. Die Polemik kam
keineswegs nur von ihm. Eine breite Koalition der moralisch Empörten
machte sich, sicherlich mit besten Absichten, bemerkbar. Es darf aber
bezweifelt werden, ob diese Heftigkeit in einem Land angebracht ist,
das Meinungsfreiheit als hohes Gut ansieht. Die Affäre macht zudem
eine fatale Spaltung unserer Gesellschaft klar: Die Koalition der
Sarrazin-Kritiker hat sich zwar deutlich geäußert, doch die Mehrheit
in Deutschland denkt anders, was nicht nur Umfragen zeigen.
Spätestens daran wird klar, wie gewaltig das Problem der Integration
ist. Und wenn nun der Fall Sarrazin Auslöser dafür sein sollte, dass
wir das Thema künftig nicht mehr nur schönreden, sondern sachlich
aber tatkräftig anpacken, dann gebührt ihm – bei all seinen Fehlern –
sogar Dank.

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