Westdeutsche Zeitung: Die FDP muss sich erneuern = von Wolfgang Radau

Im September 2009, als Guido Westerwelle seine
FDP aus der Opposition zum höchsten Bundestags-Wahlerfolg ihrer
Geschichte geführt hatte und seine Getreuen mit Mandaten und
Regierungsämtern versorgen konnte, da jubelten alle Hosianna. Nun,
nach eineinhalb Jahren Regierungsverantwortung in Berlin und diversen
misslungenen Landtagswahlen, rufen die gleichen Weggefährten
„Kreuziget ihn“. Auf den Parteivorsitz hat Westerwelle bereits
verzichtet. Auf den schmückenden Titel Vizekanzler will er
verzichten. Auch auf das Amt als Außenminister wird er verzichten
müssen, wenn seine Parteifreunde weiter über ihn herfallen, als sei
er der einzige Schuldige an der Misere. Richtig ist: Westerwelle hat
im Namen der FDP Wahlversprechen gemacht, die er nicht halten konnte
– Stichwort: Mehr Brutto vom Netto. Tatsache ist: Westerwelle hat
außenpolitisch eine überaus unglückliche Figur abgegeben, als er
Deutschland in der Libyen-Frage an die Seite Chinas, Russlands und
Brasiliens gestellt hat statt in eine Reihe mit den Europäern. Neu
ist: Die FDP hat nach der Katastrophe von Japan jegliche Überzeugung
in Sachen Kernenergie über Bord geworfen und voreilig, ohne fachliche
und rechtliche Grundlage, das Aus von sieben Atomkraftwerken
verkündet. Für welche Werte steht diese Partei noch? Privat vor
Staat, Bürgerrechte, Marktwirtschaft – das waren einmal Markenzeichen
der Freien Demokraten. Klientelpolitik werfen die politischen Gegner
den Liberalen vor – aber viel Feind–, viel Ehr–. 14,6 Prozent bei den
jüngsten Bundestagswahlen lassen auf eine solide Basis schließen, die
von ihrer Partei vor allem eins erwartet: Glaubwürdigkeit und
Kompetenz. Die FDP muss sich erneuern. Entscheidend ist die richtige
Reihenfolge. Zuerst muss eine Programmdebatte stattfinden – bis zum
Parteitag ist noch mehr als ein Monat Zeit. Sind dann die Grundsätze
niedergeschrieben, kann die Partei Personaldebatten führen und
Aufgaben verteilen. Nicht umgekehrt. Bei diesem Verfahren wird die
FDP erkennen, dass ihr nicht nur Jugend und Dynamik
Zukunftsperspektiven eröffnen, sondern dass im Politikgeschäft auch
Lebenserfahrung von Wert ist und Vertrauen schafft. Vertrauen muss
erarbeitet werden und nicht im Handstreich erbeutet.

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