Im September 2009, als Guido Westerwelle seine 
FDP aus der Opposition zum höchsten Bundestags-Wahlerfolg ihrer 
Geschichte geführt hatte und seine Getreuen mit Mandaten und 
Regierungsämtern versorgen konnte, da jubelten alle Hosianna. Nun, 
nach eineinhalb Jahren Regierungsverantwortung in Berlin und diversen
misslungenen Landtagswahlen, rufen die gleichen Weggefährten 
„Kreuziget ihn“. Auf den Parteivorsitz hat Westerwelle bereits 
verzichtet. Auf den schmückenden Titel Vizekanzler will er 
verzichten. Auch auf das Amt als Außenminister wird er verzichten 
müssen, wenn seine Parteifreunde weiter über ihn herfallen, als sei 
er der einzige Schuldige an der Misere. Richtig ist: Westerwelle hat 
im Namen der FDP Wahlversprechen gemacht, die er nicht halten konnte 
– Stichwort: Mehr Brutto vom Netto. Tatsache ist: Westerwelle hat 
außenpolitisch eine überaus unglückliche Figur abgegeben, als er 
Deutschland in der Libyen-Frage an die Seite Chinas, Russlands und 
Brasiliens gestellt hat statt in eine Reihe mit den Europäern. Neu 
ist: Die FDP hat nach der Katastrophe von Japan jegliche Überzeugung 
in Sachen Kernenergie über Bord geworfen und voreilig, ohne fachliche
und rechtliche Grundlage, das Aus von sieben Atomkraftwerken 
verkündet. Für welche Werte steht diese Partei noch? Privat vor 
Staat, Bürgerrechte, Marktwirtschaft – das waren einmal Markenzeichen
der Freien Demokraten. Klientelpolitik werfen die politischen Gegner 
den Liberalen vor – aber viel Feind–, viel Ehr–. 14,6 Prozent bei den
jüngsten Bundestagswahlen lassen auf eine solide Basis schließen, die
von ihrer Partei vor allem eins erwartet: Glaubwürdigkeit und 
Kompetenz. Die FDP muss sich erneuern. Entscheidend ist die richtige 
Reihenfolge. Zuerst muss eine Programmdebatte stattfinden – bis zum 
Parteitag ist noch mehr als ein Monat Zeit. Sind dann die Grundsätze 
niedergeschrieben, kann die Partei Personaldebatten führen und 
Aufgaben verteilen. Nicht umgekehrt. Bei diesem Verfahren wird die 
FDP erkennen, dass ihr nicht nur Jugend und Dynamik 
Zukunftsperspektiven eröffnen, sondern dass im Politikgeschäft auch 
Lebenserfahrung von Wert ist und Vertrauen schafft. Vertrauen muss 
erarbeitet werden und nicht im Handstreich erbeutet.
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