Westdeutsche Zeitung: Die Gefahr eines voreiligen Kompromisses beim Mindestlohn = Von Martin Vogler

Union und SPD stehen bereits jetzt unter einem
übermächtigen Druck, ihre Koalitionsverhandlungen erfolgreich zu
beenden. Das birgt große Gefahren, sich auf voreilige Kompromisse
einzulassen. Etwa beim Mindestlohn von 8,50 Euro, der derzeit in den
Gesprächen ganz oben auf der Agenda steht. Dessen kompromisslose
Einführung würde unsere Gesellschaft rapide verändern. Und nicht nur
zum Vorteil.

Doch den Sozialdemokraten ist er eine Herzensangelegenheit. Wobei
die Argumente für ihn durchaus einleuchtend sind. Denn natürlich ist
es traurig, wenn Millionen Menschen in Vollzeit arbeiten, aber
trotzdem nicht vernünftig von ihrem Gehalt leben können. Sie müssen
zusätzliche Transferzahlungen beantragen, ähnlich wie ein nicht
Erwerbstätiger. Das ist beschämend und demotiviert die Betroffenen,
wenn sie nicht viel mehr in der Tasche haben als einer, der –
freiwillig oder unfreiwillig – den ganzen Tag zu Hause sitzt.

Dennoch sollte die Union sich genau überlegen, ob sie im
Koalitionspoker das Thema Mindestlohn opfert. Denn zumindest wenn er
kompromisslos kommt, ist er eine gewaltige Belastung für die
Wirtschaft und wird Arbeitsplätze kosten. Leidtragende werden vor
allem die Geringqualifizierten sein, die auf Jobsuche sind. Denn
viele Firmen werden bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro keine neuen
Stellen im Niedriglohnbereich mehr schaffen wollen oder können. Sie
würden entweder auf Expansion verzichten, auf dann attraktiver
gewordene Automatisierung ausweichen oder, falls möglich,
Arbeitsplätze ins billigere Ausland verlagern. Bedenkliche
Perspektiven.

Wenn der Mindestlohn schon kommt, dann wäre eine stark
differenzierte Form sinnvoll. Regionale Unterschiede und die zwischen
Branchen müssen berücksichtigt werden. Doch ob die besonnenen Kräfte
in der Union sich hier parteiintern und gegen die SPD durchsetzen
können, ist eher unwahrscheinlich. Denn in den
Koalitionsverhandlungen ist der Arbeitnehmerflügel sehr stark
vertreten. Und selbst CSU-Chef Horst Seehofer scheint beim
Mindestlohn auf SPD-Linie einzuschwenken. Hoffentlich gibt das bei
künftigen Arbeitsmarktzahlen kein schlimmes Erwachen.

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