Westdeutsche Zeitung: Die große Sorglosigkeit in Zeiten der Internetkontrolle = von Peter Kurz

Noch gehen die Deutschen erstaunlich gelassen
damit um, was da in Sachen Internetüberwachung täglich neu bekannt
wird. Nur 30 Prozent gehen laut Meinungsforschungsinstitut YouGov
davon aus, dass auch ihre Daten ausgespäht wurden. Die Mehrheit ist
entweder sorglos oder glaubt, dass ihre Kommunikation wohl irrelevant
sei. Doch mit jedem Tag, der mehr ans Licht bringt über
internationale Spähpraktiken, vor denen die Bürger nicht mal vom
eigenen Staat geschützt werden, wird die Skepsis zunehmen: Wie weit
geht die Überwachung im Netz? Wer liest meine Mails mit? Wer schaut,
welche Internetseiten ich besucht habe? Weil niemand das
nachvollziehen kann, wird die Unsicherheit wachsen.

Nun dürften diejenigen, die gedankenlos Privatestes in die große
Cloud schaufeln, eigentlich nicht überrascht sein. Dass das Netz
nichts vergisst, davor wurde oft genug gewarnt. Alles, was im
Internet schlummert, kann wieder hervorgekramt werden. Jede noch so
versteckte Information ist nur eingefroren, kann jederzeit wieder
aufgetaut werden.

Als in den 1980er Jahren eine Welle der Empörung gegen die
Volkszählung losbrach, waren die Mittel der Datensammler noch
vergleichsweise bescheiden. Dennoch erkämpften die Überwachungsgegner
vor dem Verfassungsgericht das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung: Jeder muss wissen können, was wo über ihn
gespeichert ist. Angesichts der aktuellen Erkenntnisse erscheint der
Glaube an dieses Grundrecht geradezu naiv.

Was besonders seltsam ist: Mit der Zunahme der technischen
Möglichkeiten, Daten zusammenzuführen, hat nicht etwa das Misstrauen,
sondern – im Gegenteil – die Sorglosigkeit zugenommen. Die große
Maschine wird auch noch freiwillig mit persönlichsten Dingen
gefüttert.

Früher waren Daten in Streubesitz: Wir wussten, dass der eine dies
und der andere jenes über uns weiß. Damit ließ sich leben, wir
konnten das Bild unseres Ich doch immer noch maßgeblich mitbestimmen.
Seit der Digitalisierung können unsere Daten aus verschiedensten
Quellen zusammengeführt werden. Und herausgerissen aus ihrem Kontext
wieder irgendwo auftauchen. Warum eigentlich finden die Menschen das
nicht mehr genauso gruselig wie die einstigen Volkszählungsgegner?

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