Westdeutsche Zeitung: Die Tötung Bin Ladens beschert der Welt nicht mehr Sicherheit = von Martin Vogler

Die Reaktion auf die Todesnachricht zur
Frühstückszeit dürfte bei den meisten Menschen nach einem ähnlichen
Schema abgelaufen sein: Erst Erleichterung, dass der Top-Terrorist
keine Bedrohung mehr darstellt, dann Nachdenken darüber, ob es
richtig ist, einen anderen Menschen gezielt zu eliminieren, selbst
wenn er eine derart widerliche Rolle wie Osama bin Laden ausfüllt.
Und dann die Kernfrage: Ist jetzt die Welt ein wenig sicherer
geworden? – Das Wort friedlicher wagt man in diesem Zusammenhang
sowieso nicht zu gebrauchen. Fest steht: Die Terrororganisation Al
Kaida hat ihren ehemaligen Kopf verloren, der mit den von ihm
befohlenen Attacken die Welt verändert hat und mediale Wirkung clever
ausspielte. Doch die Vermutung liegt nahe, dass Bin Laden – auch weil
er sich stets verstecken musste – zwar bis zuletzt eine wichtige
Symbolfigur war, aber nicht mehr der wahre Regisseur des Terrors. So
gesehen dürfte sein Tod wenig ändern: Al Kaida operiert wohl schon
seit Jahren mit unabhängigen Zellen, die notfalls ihr schmutziges
Handwerk ohne Weisung einer Zentrale verrichten. Jetzt können sie
sich sogar motiviert fühlen, an der gesamten westlichen Welt Rache zu
üben und zu beweisen, dass Al Kaida auch ohne Chef funktioniert. Neue
Anschläge sind wahrscheinlich. Das sind schlimme Aussichten, zumal
die meisten die Bilder des 11. September 2001, als die Flugzeuge in
die Hochhäuser flogen, noch nicht verarbeitet haben. Der
islamistische Terror hat seitdem nicht nur direkte Opfer gefordert,
sondern Milliarden Menschen ein Stück Unbekümmertheit und
Lebensfreude geraubt. Er löste zudem eine weltweite wirtschaftliche
Talfahrt aus, machte Millionen arbeitslos. Wird sich das alles
wiederholen? Hoffentlich nicht. Denn mittelfristig könnte sich –
nicht wegen, sondern trotz Bin Ladens Tod – die Lage entspannen.
Unter anderem, weil die Gleichung Islam gleich Terror noch nie
richtig war und sich auch bei radikalen Kräften Vernunft durchsetzen
könnte. Vor allem aber, weil die Menschen der arabischen Welt in den
vergangenen Wochen mit ihren Revolutionen eindrucksvoll gezeigt
haben, dass sie ihre Probleme nicht zwingend mit Hilfe einer
Terrororganisation lösen müssen. Sie können das auch friedlich.

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