Westdeutsche Zeitung: Entwurf zur Rentenreform birgt Konfliktpotenzial = von Stefan Vetter

Die neue Bundesarbeitsministerin hörte gestern
schweigend zu, als der Bundestag in einer Aktuellen Stunde über das
Reizthema Rente debattierte. Vielleicht wollte Andrea Nahles noch ein
letztes Mal ihre Nerven schonen. Denn was jetzt mit dem von ihr
selbst kreierten Gesetzentwurf zur Reform der Altersbezüge auf die
SPD-Politikerin zurollt, ist geballter Ärger. Auch in ihrer eigenen
Partei.

Schon im Wahlkampf hatten führende Sozialdemokraten die
abschlagsfreie Rente mit 63 als einen Akt zur Wiedergutmachung an der
vormals beschlossenen Heraufsetzung des Renteneintrittsalters
überhöht. Und in keiner Rede, die Sigmar Gabriel nach dem Wahltag
hielt, um das Parteivolk für die Zustimmung zur ungeliebten großen
Koalition zu gewinnen, fehlte der Hinweis auf die großzügige
Anrechnung möglicher Arbeitslosigkeit. Dies entpuppt sich nun als
Etikettenschwindel.

Viele SPD-Mitglieder, die beim Basis-Entscheid mit Ja gestimmt
haben, dürften sich verschaukelt fühlen. Denn wer länger ohne Job
war, wird von der Rente mit 63 nichts haben. Nahles will nur
Bezugszeiten von Arbeitslosengeld I gelten lassen. Dahinter stecken
kurzzeitige Phasen der Arbeitslosigkeit. Die Realität sieht häufig
anders aus. Damit wird auch die soziale Schieflage der Regelung
offenkundig. Von der abschlagsfreien Rente mit 63 werden besonders
jene profitieren, die auch ohne sie auskömmliche Altersbezüge
erhalten hätten.

Der Plan birgt überdies die Gefahr, dass sich Betriebe ihrer
älteren Belegschaft noch deutlich früher entledigen könnten als
jetzt. Nämlich dann, wenn die maximale Bezugsdauer von
Arbeitslosengeld I unmittelbar vor dem 63. Lebensjahr ausgeschöpft
wird. Für die Generation 58 plus sind das zwei Jahre am Stück. Ein
Betroffener wäre auf diese Weise sogar schon mit 61 auf dem
Abstellgleis.

Der Gesetzentwurf ist jetzt in der Diskussionsphase. Das ist eine
gute Gelegenheit, um den größten Murks zu beseitigen. Die Rente mit
63 torpediert alle politischen Beschwörungen, wonach eine längere
Lebensarbeitszeit notwendig ist, um die Renten auf Dauer bezahlbar zu
halten. Die SPD jedoch führt einen Eiertanz auf. Sie führt ihre Basis
hinters Licht. Andrea Nahles wird viel zu erklären haben.

Pressekontakt:
Westdeutsche Zeitung
Nachrichtenredaktion
Telefon: 0211/ 8382-2370
redaktion.nachrichten@wz.de
www.wz.de

Weitere Informationen unter:
http://