Westdeutsche Zeitung: Griechenland – Wut und Perspektivlosigkeit = von Peter Kurz

Der Grieche lief und lief. Und brach am Ende
doch tot zusammen. Das Schicksal, das den Boten Pheidippides 490 vor
Christus ereilte, als er den Athenern die Nachricht vom Sieg über die
Perser bei Marathon überbrachte – wiederholt es sich in diesen Tagen?
Die heutigen Nachkommen des Pheidippides sollen eine Durststrecke
durchstehen, gegen die der Marathonlauf eine Kleinigkeit ist. Die
Stimmung ist ganz und gar nicht danach, dass die Griechen das noch
lange mitmachen, was ihre Regierung ihnen da auf Geheiß der Troika
zumutet. Trotz früherer Geldspritzen ist das Land in der Rezession,
die Arbeitslosigkeit steigt unaufhaltsam. Wer noch Arbeit hat, muss
Lohneinbußen im zweistelligen Prozentbereich verkraften. Was die
Kaufkraft weiter schmälert. Ein Teufelskreis. Renten werden gekürzt,
eine neue Immobiliensteuer wird über die Stromrechnung eingetrieben –
wer nicht zahlt, dem wird der Strom abgedreht. Da prägen Wut und
Perspektivlosigkeit die Stimmung. Denn keiner kann den Griechen
sagen, ob und wann diese Opfer Früchte tragen, wann es einen
Silberstreif am Horizont gibt. Denn auch die acht Milliarden, die die
Troika vielleicht demnächst freigibt, wären nur eine Feuerlöschaktion
– Mittel, um Renten und Gehälter im öffentlichen Dienst weiter zu
zahlen und die hohen Zinsforderungen der Gläubiger zu bedienen. Die
Wirtschaft in Schwung bringen können sie nicht. Es scheint ganz so,
als gebe es in dieser Krise nur schlechte und noch schlechtere
Lösungen. Neue Staatsanleihen, für die alle Euro-Länder haften,
könnten die griechische Zinslast zwar drücken. Durch solche Eurobonds
würde aber der Steuerzahler in Deutschland und anderswo kräftig zur
Kasse gebeten. Ein Schuldenschnitt oder gar das völlige Abschreiben
der Forderungen hingegen würde dazu führen, dass den Griechen
überhaupt niemand mehr Geld leihen würde. Was erst recht soziale
Unruhen hervorrufen könnte. Hinzu käme: Das Vertrauen in die Bonität
anderer Wackelkandidaten der Eurozone würde nach einem solchen
Schnitt erschüttert. Nicht nur die Entstehungsgeschichte des
Marathonlaufs ist eine berühmte Geschichte. Die Antike kennt auch die
Legende vom gordischen Knoten. Aber heute ist weit und breit niemand
in Sicht, der ihn lösen könnte.

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