Westdeutsche Zeitung: Parteichef Lindner steht vor seiner ersten schweren Prüfung – Heute beginnt die Zukunft der FDP Ein Kommentar von Anja Clemens-Smicek

Wenn das mal kein schlechtes Omen ist:
Vielleicht zum letzten Mal hält die FDP heute ihr traditionelles
Dreikönigstreffen in der Stuttgarter Staatsoper ab. Die Oper hat den
Mietpreis drastisch erhöht, und es ist längst nicht sicher, ob die
klammen Liberalen sich dieses gediegene Ambiente in Zukunft noch
werden leisten können. Statt die 150. Auflage des Dreikönigstreffens
zu feiern, ist Frustschieben angesagt – als außerparlamentarische
Opposition. Eine ungewohnte Rolle, in die sich auch der neue
Parteivorsitzende Christian Lindner erst noch einfinden muss.

2014 dürfte für die FDP ein Schicksalsjahr werden, denn bei der
anstehenden Europawahl, mehreren Kommunal- und drei Landtagswahlen
wird sich zeigen, ob die Parteiführung einen Plan hat für ihr
„Projekt 17“, den Wiedereinzug in den Bundestag 2017. In Sachsen, dem
einzigen Bundesland, in dem die Liberalen überhaupt noch an der Macht
sind, kämen sie Umfragen zufolge gerade mal auf zwei Prozent. Nun mag
es bis zur Wahl am 31. August noch lange hin sein. Doch Lindner muss
schon heute in Stuttgart eine programmatische Ruckrede halten, mit
der er seine Partei aus der tiefen Depression holt und gleichzeitig
den Bürgern erklärt, warum Deutschland eine liberale Kraft als
wichtiges Korrektiv benötigt.

Die große Koalition bietet viel Freiraum für eine liberale
Bürgerpartei. Eine Partei, die sich der Rechte des Individuums
annimmt und Probleme nicht mit noch mehr Staat, noch mehr Regulierung
und im Zweifel noch höheren Steuern beantwortet. Ansatzpunkte wie der
NSA-Skandal oder die just von Justizminister Heiko Maas auf Eis
gelegte Vorratsdatenspeicherung gibt es genug. Lindner darf nur nicht
die Fehler seiner Vorgänger wiederholen, die FDP programmatisch zu
verengen.

Mit Blick auf die Europawahl muss ihm der Spagat gelingen: Er muss
die Euro-Zauderer in seiner Partei befriedigen und gleichzeitig ein
Bekenntnis für Europa ablegen. Sonst könnte die AfD die Liberalen
erneut wichtige Stimmen kosten. Lindner hat es in der Hand, ob die
FDP ihr Jubiläumstreffen nutzt, wofür es gedacht ist: sich auf die
liberale Geisteshaltung zu besinnen. Um die Befindlichkeiten eines
Koalitionspartner muss man sich ja nicht mehr scheren.

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