Westdeutsche Zeitung: Putin begnadigt Chodorkowski = von Peter Lausmann

Der Wolf Wladimir Putin frisst Kreide. Wenige
Wochen vor den olympischen Winterspielen in Sotschi startet der
Kremlchef eine Charme-Offensive, um der Kritik an seiner
Ukrainepolitik und den menschenverachtenden Gesetzen gegen Schwule
und Lesben etwas entgegen zu setzen. Dass er ausgerechnet seinen
Kritiker Michail Chodorkowski begnadigt, ist das stärkste Mittel, das
er dafür einsetzen kann. Ein Sinneswandel ist es indes nicht. Im
Gegenteil: Putin fühlt sich so sicher und mächtig wie nie.
Innenpolitisch greift sein System. Außenpolitisch hat er in der
eigenen Wahrnehmung selbst US-Präsident Obama übertrumpft, weil er in
Syrien, Iran und Ukraine das letzte Wort hat.

Die vermeintlich positive Botschaft an das Ausland, verfehlt auch
nach innen ihre Wirkung nicht. Begnadigungen sind ein Relikt aus dem
Absolutismus, das es übrigens auch im deutschen Recht noch gibt. Ein
Herrscher stellt sich über das Gesetz und waltet nach persönlichem
Willen. Bei Putin gerät der Akt der Gnade so zur Machtdemonstration –
einem Zaren gleich.

Putin provoziert diese Assoziationen. Und zementiert die vor zehn
Jahren von seinem politischen Herausforderer Chodorkowski infrage
gestellte Rangordnung: Der eine bittet um Gnade, der andere gewährt
sie. Eindeutiger kann man eine Hierarchie nicht darstellen. Es
scheint als habe Putin den ehemaligen Oligarchen am Ende doch noch
brechen können.

Ob dem wirklich so ist, wird sich aber erst nach der Freilassung
zeigen. Die versprengte Opposition in Russland wird darauf hoffen,
dass es ein taktische Finte Chodorkowskis ist, der die Gunst der
Stunde nutzte, um zumindest wieder freizukommen, um dann erneut gegen
Putin zu Felde zu ziehen. Ebenso möglich wie menschlich wäre es aber
auch, dass er, mürbe von zehn Jahren Lagerhaft, dem Druck neuer
drohender Verfahren nachgab und mit dem Gnadengesuch kapitulierte.

Sicher dürfte hingegen sein, dass Putin nach den Spielen die Zügel
wieder anzieht. Er wird seine Macht festigen und ausbauen. Der
politische Frühling dürfte kurz sein, die Repression gegen
Oppositionelle und Minderheiten weitergehen. Zumindest bis die
Fußball-WM 2018 in Russland in den Fokus gerät.

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